gestellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozesses hörte indessen diese Beschränkung des Richteramtes mit allen ihren Folgen auf (d), und es trat für alle Klagen der natürliche Zustand ein, welchen allein wir in unsrem Prozeßverfahren kennen.
Wenn nun der Kläger einen bestimmten Gegenstand einklagt, z. B. Hundert Thaler, so ist stets hinzuzudenken: Hundert oder weniger, so viel, als zu erlangen ist. Der Richter ist dann nur darin gebunden, daß er den einge- klagten Umfang nicht überschreiten darf; innerhalb desselben hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anspruch auf Sechszig begründet, so verurtheilt er auf Sechszig und spricht auf Vierzig frei. Eben so, wenn er die auf ein Grundstück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile oder für bestimmte Äcker in diesem Grundstück gegründet findet, da auch hier die Klage stets so gedacht werden muß: Ich fordere das ganze Grundstück, oder so viel davon irgend zu erlangen ist.
Für den Erfolg aber ist es ganz gleichgültig, ob das Urtheil diesen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er sich von selbst versteht, auch wenn er nicht ausgesprochen wird. Man kann Dieses so ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for- derte, ist stets ein gemischtes Urtheil, indem darin die Frei- sprechung von dem übrigen Theil der Forderung stillschwei-
(d) § 33 J. de act. (4. 6).
§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
geſtellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozeſſes hörte indeſſen dieſe Beſchränkung des Richteramtes mit allen ihren Folgen auf (d), und es trat für alle Klagen der natürliche Zuſtand ein, welchen allein wir in unſrem Prozeßverfahren kennen.
Wenn nun der Kläger einen beſtimmten Gegenſtand einklagt, z. B. Hundert Thaler, ſo iſt ſtets hinzuzudenken: Hundert oder weniger, ſo viel, als zu erlangen iſt. Der Richter iſt dann nur darin gebunden, daß er den einge- klagten Umfang nicht überſchreiten darf; innerhalb deſſelben hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anſpruch auf Sechszig begründet, ſo verurtheilt er auf Sechszig und ſpricht auf Vierzig frei. Eben ſo, wenn er die auf ein Grundſtück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile oder für beſtimmte Äcker in dieſem Grundſtück gegründet findet, da auch hier die Klage ſtets ſo gedacht werden muß: Ich fordere das ganze Grundſtück, oder ſo viel davon irgend zu erlangen iſt.
Für den Erfolg aber iſt es ganz gleichgültig, ob das Urtheil dieſen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er ſich von ſelbſt verſteht, auch wenn er nicht ausgeſprochen wird. Man kann Dieſes ſo ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for- derte, iſt ſtets ein gemiſchtes Urtheil, indem darin die Frei- ſprechung von dem übrigen Theil der Forderung ſtillſchwei-
(d) § 33 J. de act. (4. 6).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0321"n="303"/><fwplace="top"type="header">§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.</fw><lb/>
geſtellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozeſſes<lb/>
hörte indeſſen dieſe Beſchränkung des Richteramtes mit<lb/>
allen ihren Folgen auf <noteplace="foot"n="(d)">§ 33 <hirendition="#i"><hirendition="#aq">J. de act.</hi></hi> (4. 6).</note>, und es trat für alle Klagen<lb/>
der natürliche Zuſtand ein, welchen allein wir in unſrem<lb/>
Prozeßverfahren kennen.</p><lb/><p>Wenn nun der Kläger einen beſtimmten Gegenſtand<lb/>
einklagt, z. B. Hundert Thaler, ſo iſt ſtets hinzuzudenken:<lb/>
Hundert oder weniger, ſo viel, als zu erlangen iſt. Der<lb/>
Richter iſt dann nur darin gebunden, daß er den einge-<lb/>
klagten Umfang nicht überſchreiten darf; innerhalb deſſelben<lb/>
hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anſpruch<lb/>
auf Sechszig begründet, ſo verurtheilt er auf Sechszig und<lb/>ſpricht auf Vierzig frei. Eben ſo, wenn er die auf ein<lb/>
Grundſtück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile<lb/>
oder für beſtimmte Äcker in dieſem Grundſtück gegründet<lb/>
findet, da auch hier die Klage ſtets ſo gedacht werden muß:<lb/>
Ich fordere das ganze Grundſtück, oder ſo viel davon irgend<lb/>
zu erlangen iſt.</p><lb/><p>Für den Erfolg aber iſt es ganz gleichgültig, ob das<lb/>
Urtheil dieſen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er ſich<lb/>
von ſelbſt verſteht, auch wenn er nicht ausgeſprochen wird.<lb/>
Man kann Dieſes ſo ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der<lb/>
Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for-<lb/>
derte, iſt ſtets ein gemiſchtes Urtheil, indem darin die Frei-<lb/>ſprechung von dem übrigen Theil der Forderung ſtillſchwei-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[303/0321]
§. 286. Inhalt des Urtheils. Arten.
geſtellt war. Durch die Aufhebung des Formularprozeſſes
hörte indeſſen dieſe Beſchränkung des Richteramtes mit
allen ihren Folgen auf (d), und es trat für alle Klagen
der natürliche Zuſtand ein, welchen allein wir in unſrem
Prozeßverfahren kennen.
Wenn nun der Kläger einen beſtimmten Gegenſtand
einklagt, z. B. Hundert Thaler, ſo iſt ſtets hinzuzudenken:
Hundert oder weniger, ſo viel, als zu erlangen iſt. Der
Richter iſt dann nur darin gebunden, daß er den einge-
klagten Umfang nicht überſchreiten darf; innerhalb deſſelben
hat er völlig freie Hand. Findet er nun den Anſpruch
auf Sechszig begründet, ſo verurtheilt er auf Sechszig und
ſpricht auf Vierzig frei. Eben ſo, wenn er die auf ein
Grundſtück gerichtete Eigenthumsklage für Zwei Drittheile
oder für beſtimmte Äcker in dieſem Grundſtück gegründet
findet, da auch hier die Klage ſtets ſo gedacht werden muß:
Ich fordere das ganze Grundſtück, oder ſo viel davon irgend
zu erlangen iſt.
Für den Erfolg aber iſt es ganz gleichgültig, ob das
Urtheil dieſen letzten Satz ausdrückt, oder nicht, da er ſich
von ſelbſt verſteht, auch wenn er nicht ausgeſprochen wird.
Man kann Dieſes ſo ausdrücken: Jedes Urtheil, worin der
Beklagte auf weniger verurtheilt wird, als der Kläger for-
derte, iſt ſtets ein gemiſchtes Urtheil, indem darin die Frei-
ſprechung von dem übrigen Theil der Forderung ſtillſchwei-
(d) § 33 J. de act. (4. 6).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/321>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.