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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847.

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§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftsteller.

Der entgegengesetzte Gesichtspunkt ist die Feststellung aller,
unter den Parteien streitig gewordenen und bis zur Spruch-
reife verhandelten, Rechtsverhältnisse für alle Zukunft. So
weit dabei die Entscheidung des zunächst vorliegenden, unmit-
telbar praktischen Streites erleichtert und beschleunigt werden
kann, muß es geschehen; nur darf durch die Verfolgung
dieses untergeordneten Zweckes das angegebene eigentliche
Ziel nicht gefährdet werden (a).

Dieser zweite Gesichtspunkt ist unzweifelhaft der der
Römischen Juristen. Dafür zeugt ihre gründliche Aus-
bildung der Lehre von der Rechtskraft, deren Darstellung
die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung ist.

Der erste Gesichtspunkt ist nicht selten in neuerer Zeit
von Schriftstellern und Gerichten auf einseitige Weise ver-
folgt worden, und in diesem Gegensatz ist wohl der Haupt-
grund der starken Meinungsverschiedenheiten in dieser Lehre
zu suchen.



Die Meinungen der Schriftsteller lassen sich auf drei
Klassen zurück führen.


(a) Es darf freilich diese Be-
hauptung nicht dahin übertrieben
werden, als ob das Urtheil nie
früher gesprochen werden dürfte,
als bis alle streitig gewordenen
Fragen spruchreif geworden wären,
welchem möglichen Mißverständ-
niß schon oben vorgebeugt worden
ist (S. 360). Nur was wirklich
spruchreif geworden ist (oder in
naher Zeit gemacht werden kann),
soll durch das Urtheil so festge-
stellt werden, daß diese Feststellung
für alle Zukunft sicheres Recht
bilden könne.
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§. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller.

Der entgegengeſetzte Geſichtspunkt iſt die Feſtſtellung aller,
unter den Parteien ſtreitig gewordenen und bis zur Spruch-
reife verhandelten, Rechtsverhältniſſe für alle Zukunft. So
weit dabei die Entſcheidung des zunächſt vorliegenden, unmit-
telbar praktiſchen Streites erleichtert und beſchleunigt werden
kann, muß es geſchehen; nur darf durch die Verfolgung
dieſes untergeordneten Zweckes das angegebene eigentliche
Ziel nicht gefährdet werden (a).

Dieſer zweite Geſichtspunkt iſt unzweifelhaft der der
Römiſchen Juriſten. Dafür zeugt ihre gründliche Aus-
bildung der Lehre von der Rechtskraft, deren Darſtellung
die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung iſt.

Der erſte Geſichtspunkt iſt nicht ſelten in neuerer Zeit
von Schriftſtellern und Gerichten auf einſeitige Weiſe ver-
folgt worden, und in dieſem Gegenſatz iſt wohl der Haupt-
grund der ſtarken Meinungsverſchiedenheiten in dieſer Lehre
zu ſuchen.



Die Meinungen der Schriftſteller laſſen ſich auf drei
Klaſſen zurück führen.


(a) Es darf freilich dieſe Be-
hauptung nicht dahin übertrieben
werden, als ob das Urtheil nie
früher geſprochen werden dürfte,
als bis alle ſtreitig gewordenen
Fragen ſpruchreif geworden wären,
welchem möglichen Mißverſtänd-
niß ſchon oben vorgebeugt worden
iſt (S. 360). Nur was wirklich
ſpruchreif geworden iſt (oder in
naher Zeit gemacht werden kann),
ſoll durch das Urtheil ſo feſtge-
ſtellt werden, daß dieſe Feſtſtellung
für alle Zukunft ſicheres Recht
bilden könne.
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[387/0405] §. 293. Rechtskraft der Gründe. Schriftſteller. Der entgegengeſetzte Geſichtspunkt iſt die Feſtſtellung aller, unter den Parteien ſtreitig gewordenen und bis zur Spruch- reife verhandelten, Rechtsverhältniſſe für alle Zukunft. So weit dabei die Entſcheidung des zunächſt vorliegenden, unmit- telbar praktiſchen Streites erleichtert und beſchleunigt werden kann, muß es geſchehen; nur darf durch die Verfolgung dieſes untergeordneten Zweckes das angegebene eigentliche Ziel nicht gefährdet werden (a). Dieſer zweite Geſichtspunkt iſt unzweifelhaft der der Römiſchen Juriſten. Dafür zeugt ihre gründliche Aus- bildung der Lehre von der Rechtskraft, deren Darſtellung die Aufgabe der vorliegenden Abhandlung iſt. Der erſte Geſichtspunkt iſt nicht ſelten in neuerer Zeit von Schriftſtellern und Gerichten auf einſeitige Weiſe ver- folgt worden, und in dieſem Gegenſatz iſt wohl der Haupt- grund der ſtarken Meinungsverſchiedenheiten in dieſer Lehre zu ſuchen. Die Meinungen der Schriftſteller laſſen ſich auf drei Klaſſen zurück führen. (a) Es darf freilich dieſe Be- hauptung nicht dahin übertrieben werden, als ob das Urtheil nie früher geſprochen werden dürfte, als bis alle ſtreitig gewordenen Fragen ſpruchreif geworden wären, welchem möglichen Mißverſtänd- niß ſchon oben vorgebeugt worden iſt (S. 360). Nur was wirklich ſpruchreif geworden iſt (oder in naher Zeit gemacht werden kann), ſoll durch das Urtheil ſo feſtge- ſtellt werden, daß dieſe Feſtſtellung für alle Zukunft ſicheres Recht bilden könne. 25*

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/405>, abgerufen am 22.11.2024.