§. 258. Wesen der L. C. -- I. R. R. (Fortsetzung.)
pulation neben der L. C. allgemein Statt gefunden hätte. Allein ein Zeugniß haben wir für diese Annahme nicht; sie wird vielmehr dadurch unwahrscheinlich, daß alsdann der einfachste und leichteste Erklärungsgrund für die ver- schiedene Behandlung beider Klassen von Klagen wegfallen würde, indem das Daseyn der Stipulation die Novation natürlich mit sich führt, der Mangel derselben die Novation ausschließt.
Nehmen wir nun an, bei dieser zahlreichen Klasse von Klagen sey keine Stipulation vorgekommen, so müssen wir eine andere Rechtsform aufsuchen, an welche die mit der L. C. auch bei diesen Klagen unstreitig verbundene neue Obligation angeknüpft werden kann. Ganz dasselbe Be- dürfniß aber tritt ein für die extraordinaria judicia, die zur Zeit des alten Formularprozesses als Ausnahmen, im späteren R. R. aber als die ganz allgemeine Regel, vor- kommen. So nimmt also die Frage nach dieser Rechtsform in der That die größte Ausdehnung und Wichtigkeit in Anspruch.
Die von jeher gewöhnliche Auffassung für das Justi- nianische Recht geht dahin, die L. C. sey ein Quasicontract, und erzeuge daher contractähnliche Obligationen (q). Mit dieser Auffassung können wir einstimmen, indem dadurch die contractliche Natur des Verhältnisses anerkannt wird, welches dennoch kein wahrer, auf freiem Entschluß beru- hender Vertrag ist. Es ist ein fingirter Vertrag, so
(q)Keller § 14, und vor ihm die meisten Schriftsteller.
§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)
pulation neben der L. C. allgemein Statt gefunden hätte. Allein ein Zeugniß haben wir für dieſe Annahme nicht; ſie wird vielmehr dadurch unwahrſcheinlich, daß alsdann der einfachſte und leichteſte Erklärungsgrund für die ver- ſchiedene Behandlung beider Klaſſen von Klagen wegfallen würde, indem das Daſeyn der Stipulation die Novation natürlich mit ſich führt, der Mangel derſelben die Novation ausſchließt.
Nehmen wir nun an, bei dieſer zahlreichen Klaſſe von Klagen ſey keine Stipulation vorgekommen, ſo müſſen wir eine andere Rechtsform aufſuchen, an welche die mit der L. C. auch bei dieſen Klagen unſtreitig verbundene neue Obligation angeknüpft werden kann. Ganz daſſelbe Be- dürfniß aber tritt ein für die extraordinaria judicia, die zur Zeit des alten Formularprozeſſes als Ausnahmen, im ſpäteren R. R. aber als die ganz allgemeine Regel, vor- kommen. So nimmt alſo die Frage nach dieſer Rechtsform in der That die größte Ausdehnung und Wichtigkeit in Anſpruch.
Die von jeher gewöhnliche Auffaſſung für das Juſti- nianiſche Recht geht dahin, die L. C. ſey ein Quaſicontract, und erzeuge daher contractähnliche Obligationen (q). Mit dieſer Auffaſſung können wir einſtimmen, indem dadurch die contractliche Natur des Verhältniſſes anerkannt wird, welches dennoch kein wahrer, auf freiem Entſchluß beru- hender Vertrag iſt. Es iſt ein fingirter Vertrag, ſo
(q)Keller § 14, und vor ihm die meiſten Schriftſteller.
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§. 258. Weſen der L. C. — I. R. R. (Fortſetzung.)
pulation neben der L. C. allgemein Statt gefunden hätte.
Allein ein Zeugniß haben wir für dieſe Annahme nicht;
ſie wird vielmehr dadurch unwahrſcheinlich, daß alsdann
der einfachſte und leichteſte Erklärungsgrund für die ver-
ſchiedene Behandlung beider Klaſſen von Klagen wegfallen
würde, indem das Daſeyn der Stipulation die Novation
natürlich mit ſich führt, der Mangel derſelben die Novation
ausſchließt.
Nehmen wir nun an, bei dieſer zahlreichen Klaſſe von
Klagen ſey keine Stipulation vorgekommen, ſo müſſen wir
eine andere Rechtsform aufſuchen, an welche die mit der
L. C. auch bei dieſen Klagen unſtreitig verbundene neue
Obligation angeknüpft werden kann. Ganz daſſelbe Be-
dürfniß aber tritt ein für die extraordinaria judicia, die
zur Zeit des alten Formularprozeſſes als Ausnahmen, im
ſpäteren R. R. aber als die ganz allgemeine Regel, vor-
kommen. So nimmt alſo die Frage nach dieſer Rechtsform
in der That die größte Ausdehnung und Wichtigkeit in
Anſpruch.
Die von jeher gewöhnliche Auffaſſung für das Juſti-
nianiſche Recht geht dahin, die L. C. ſey ein Quaſicontract,
und erzeuge daher contractähnliche Obligationen (q). Mit
dieſer Auffaſſung können wir einſtimmen, indem dadurch
die contractliche Natur des Verhältniſſes anerkannt wird,
welches dennoch kein wahrer, auf freiem Entſchluß beru-
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(q) Keller § 14, und vor ihm die meiſten Schriftſteller.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 6. Berlin, 1847, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system06_1847/49>, abgerufen am 03.12.2024.
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