§. 313. Surrogate. II. Eid. Besondere Wirkungen. (Forts.)
Wenn vor dem Judex ein Eid zugeschoben und von dem Gegner freiwillig angenommen und geleistet wurde, so kann über dessen Wirksamkeit kein Zweifel seyn, da selbst der außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge- eignet war (§ 312). Der Streit kann also nur den Fall einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor, zugeschrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des Prätors der Zwang etwa in Geldstrafen bestanden, so würde ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er bestand aber in der That nur in der angenommenen Feststellung des Gegen- theils der Behauptung, welche zu beschwören in die Macht des Weigernden gestellt war (§. 312. f), und dieses Zwangs- mittel dem Judex, so gut als dem Prätor, zuzuschreiben, kann nicht das geringste Bedenken haben. Der eigentliche, gewiß richtige Gesichtspunkt für jene Feststellung zum Nach- theil Dessen, der den zugeschobenen Eid verweigert, ist in folgender Stelle des Paulus ausgedrückt (f): "Mani- festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare, nec jusjurandum referre". Diese Stelle ist ganz wie ge- schrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung völlig wie ein gerichtliches Geständniß behandelt und hier- nach sein Urtheil einrichtet, und sie wird also am natür- lichsten bezogen auf die Eideszuschiebung vor dem Judex. Auf die außergerichtliche kann sie nicht bezogen werden, weil
(f)L. 38 de jur. (12. 2).
VII. 6
§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)
Wenn vor dem Judex ein Eid zugeſchoben und von dem Gegner freiwillig angenommen und geleiſtet wurde, ſo kann über deſſen Wirkſamkeit kein Zweifel ſeyn, da ſelbſt der außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge- eignet war (§ 312). Der Streit kann alſo nur den Fall einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor, zugeſchrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des Prätors der Zwang etwa in Geldſtrafen beſtanden, ſo würde ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er beſtand aber in der That nur in der angenommenen Feſtſtellung des Gegen- theils der Behauptung, welche zu beſchwören in die Macht des Weigernden geſtellt war (§. 312. f), und dieſes Zwangs- mittel dem Judex, ſo gut als dem Prätor, zuzuſchreiben, kann nicht das geringſte Bedenken haben. Der eigentliche, gewiß richtige Geſichtspunkt für jene Feſtſtellung zum Nach- theil Deſſen, der den zugeſchobenen Eid verweigert, iſt in folgender Stelle des Paulus ausgedrückt (f): „Mani- festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare, nec jusjurandum referre“. Dieſe Stelle iſt ganz wie ge- ſchrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung völlig wie ein gerichtliches Geſtändniß behandelt und hier- nach ſein Urtheil einrichtet, und ſie wird alſo am natür- lichſten bezogen auf die Eideszuſchiebung vor dem Judex. Auf die außergerichtliche kann ſie nicht bezogen werden, weil
(f)L. 38 de jur. (12. 2).
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§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)
Wenn vor dem Judex ein Eid zugeſchoben und von dem
Gegner freiwillig angenommen und geleiſtet wurde, ſo kann
über deſſen Wirkſamkeit kein Zweifel ſeyn, da ſelbſt der
außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge-
eignet war (§ 312). Der Streit kann alſo nur den Fall
einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem
Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor,
zugeſchrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des
Prätors der Zwang etwa in Geldſtrafen beſtanden, ſo würde
ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er beſtand aber in
der That nur in der angenommenen Feſtſtellung des Gegen-
theils der Behauptung, welche zu beſchwören in die Macht
des Weigernden geſtellt war (§. 312. f), und dieſes Zwangs-
mittel dem Judex, ſo gut als dem Prätor, zuzuſchreiben,
kann nicht das geringſte Bedenken haben. Der eigentliche,
gewiß richtige Geſichtspunkt für jene Feſtſtellung zum Nach-
theil Deſſen, der den zugeſchobenen Eid verweigert, iſt in
folgender Stelle des Paulus ausgedrückt (f): „Mani-
festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare,
nec jusjurandum referre“. Dieſe Stelle iſt ganz wie ge-
ſchrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung
völlig wie ein gerichtliches Geſtändniß behandelt und hier-
nach ſein Urtheil einrichtet, und ſie wird alſo am natür-
lichſten bezogen auf die Eideszuſchiebung vor dem Judex.
Auf die außergerichtliche kann ſie nicht bezogen werden, weil
(f) L. 38 de jur. (12. 2).
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 7. Berlin, 1848, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system07_1848/103>, abgerufen am 16.07.2024.
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