Diese Erklärung hat Schein, aber keine Wahrheit. Allerdings spricht die dritte Stelle von dem Gerichtsstand, nicht von dem örtlichen Recht; die zweite aber redet so allgemein, daß sie eben so gut auf das Eine, wie auf das Andere, anzuwenden ist. Sind nun die oben aufgestellten Gründe für den inneren Zusammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsstand überzeugend, so muß eine praktische Verschiedenheit in der Behandlung beider Fragen so lange verneint werden, als nicht bestimmte Zeugnisse für diese Verschiedenheit aufgewiesen werden können; diese eben sollen in den oben angegebenen Stellen liegen, und es wird jetzt hauptsächlich darauf ankommen, durch die Erklärung der ersten Stelle zu zeigen, daß diese den praktischen Gegensatz gegen die zwei anderen Stellen, den man darin finden will, in der That nicht enthält.
Von der ersten Stelle nun, der L. 6 de evict., ist schon oben bemerkt worden, daß sie eigentlich gar nicht von dem anzuwendenden örtlichen Recht spricht, sondern von that- sächlichen Gewohnheiten, die gar nicht Rechtsregeln begrün- den (§ 356. i. k.). Indessen können wir über dieses Be- denken hinweggehen, und einen indirecten Gebrauch dieser Stelle für unsere Frage willig einräumen. Denn dieselbe Wahrscheinlichkeit, die dafür spricht, daß die Parteien ge- wisse factische Gewohnheiten des Orts stillschweigend be- folgen wollten, läßt sich auch geltend machen für ihre frei- willige Unterwerfung unter das örtliche Recht desselben Orts. Wir wollen also die Stelle ganz so behandeln, als
§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.
Dieſe Erklärung hat Schein, aber keine Wahrheit. Allerdings ſpricht die dritte Stelle von dem Gerichtsſtand, nicht von dem örtlichen Recht; die zweite aber redet ſo allgemein, daß ſie eben ſo gut auf das Eine, wie auf das Andere, anzuwenden iſt. Sind nun die oben aufgeſtellten Gründe für den inneren Zuſammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsſtand überzeugend, ſo muß eine praktiſche Verſchiedenheit in der Behandlung beider Fragen ſo lange verneint werden, als nicht beſtimmte Zeugniſſe für dieſe Verſchiedenheit aufgewieſen werden können; dieſe eben ſollen in den oben angegebenen Stellen liegen, und es wird jetzt hauptſächlich darauf ankommen, durch die Erklärung der erſten Stelle zu zeigen, daß dieſe den praktiſchen Gegenſatz gegen die zwei anderen Stellen, den man darin finden will, in der That nicht enthält.
Von der erſten Stelle nun, der L. 6 de evict., iſt ſchon oben bemerkt worden, daß ſie eigentlich gar nicht von dem anzuwendenden örtlichen Recht ſpricht, ſondern von that- ſächlichen Gewohnheiten, die gar nicht Rechtsregeln begrün- den (§ 356. i. k.). Indeſſen können wir über dieſes Be- denken hinweggehen, und einen indirecten Gebrauch dieſer Stelle für unſere Frage willig einräumen. Denn dieſelbe Wahrſcheinlichkeit, die dafür ſpricht, daß die Parteien ge- wiſſe factiſche Gewohnheiten des Orts ſtillſchweigend be- folgen wollten, läßt ſich auch geltend machen für ihre frei- willige Unterwerfung unter das örtliche Recht deſſelben Orts. Wir wollen alſo die Stelle ganz ſo behandeln, als
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§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.
Dieſe Erklärung hat Schein, aber keine Wahrheit.
Allerdings ſpricht die dritte Stelle von dem Gerichtsſtand,
nicht von dem örtlichen Recht; die zweite aber redet ſo
allgemein, daß ſie eben ſo gut auf das Eine, wie auf das
Andere, anzuwenden iſt. Sind nun die oben aufgeſtellten
Gründe für den inneren Zuſammenhang des örtlichen Rechts
mit dem Gerichtsſtand überzeugend, ſo muß eine praktiſche
Verſchiedenheit in der Behandlung beider Fragen ſo lange
verneint werden, als nicht beſtimmte Zeugniſſe für dieſe
Verſchiedenheit aufgewieſen werden können; dieſe eben ſollen
in den oben angegebenen Stellen liegen, und es wird jetzt
hauptſächlich darauf ankommen, durch die Erklärung der
erſten Stelle zu zeigen, daß dieſe den praktiſchen Gegenſatz
gegen die zwei anderen Stellen, den man darin finden will,
in der That nicht enthält.
Von der erſten Stelle nun, der L. 6 de evict., iſt ſchon
oben bemerkt worden, daß ſie eigentlich gar nicht von dem
anzuwendenden örtlichen Recht ſpricht, ſondern von that-
ſächlichen Gewohnheiten, die gar nicht Rechtsregeln begrün-
den (§ 356. i. k.). Indeſſen können wir über dieſes Be-
denken hinweggehen, und einen indirecten Gebrauch dieſer
Stelle für unſere Frage willig einräumen. Denn dieſelbe
Wahrſcheinlichkeit, die dafür ſpricht, daß die Parteien ge-
wiſſe factiſche Gewohnheiten des Orts ſtillſchweigend be-
folgen wollten, läßt ſich auch geltend machen für ihre frei-
willige Unterwerfung unter das örtliche Recht deſſelben
Orts. Wir wollen alſo die Stelle ganz ſo behandeln, als
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/275>, abgerufen am 25.11.2024.
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