Suchen wir nun auf geschichtlichem Wege zur Lösung dieser Aufgabe zu gelangen, so finden wir zwei Gründe, wodurch von jeher im Großen und Ganzen eine solche Ge- meinschaft des positiven Rechts unter den Einzelnen vor- zugsweise bestimmt und begränzt worden ist: die Volks- abstammung, und das Landgebiet.
I. Die Volksabstammung (Nationalität) als Grund und Gränze der Rechtsgemeinschaft hat zunächst einen ganz persönlichen und unsichtbaren Charakter. Obgleich sie, ihrem Begriffe nach, den Einfluß der Willkür auszu- schließen scheint, ist sie dennoch einer Erweiterung durch die freie Aufnahme Einzelner empfänglich.
In großer Ausdehnung erscheint die Nationalität als Grund und Gränze der Rechtsgemeinschaft bei wandernden Völkern, für welche ein festes Landgebiet überhaupt nicht vorhanden ist, wie bei den Germanen zur Zeit der Völker- wanderung. Bei diesen hat sich aber auch nach ihrer festen Niederlassung auf dem alten Boden des Römischen Reichs derselbe Grundsatz noch lange lebendig erhalten in dem System der persönlichen Gesetze, die hier in demselben Staate neben einander zur Anwendung kamen, und in deren Reihe jetzt, neben den Rechten der Franken, Lombarden u. s. w., auch das Römische Recht, als das fortdauernde persönliche Recht der ursprünglichen Einwohner dieser durch Eroberung neu gegründeten Staaten erscheint (b).
(b)Savigny Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 3 § 30--33.
§ 346. Abſtammung und Landgebiet.
Suchen wir nun auf geſchichtlichem Wege zur Löſung dieſer Aufgabe zu gelangen, ſo finden wir zwei Gründe, wodurch von jeher im Großen und Ganzen eine ſolche Ge- meinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen vor- zugsweiſe beſtimmt und begränzt worden iſt: die Volks- abſtammung, und das Landgebiet.
I. Die Volksabſtammung (Nationalität) als Grund und Gränze der Rechtsgemeinſchaft hat zunächſt einen ganz perſönlichen und unſichtbaren Charakter. Obgleich ſie, ihrem Begriffe nach, den Einfluß der Willkür auszu- ſchließen ſcheint, iſt ſie dennoch einer Erweiterung durch die freie Aufnahme Einzelner empfänglich.
In großer Ausdehnung erſcheint die Nationalität als Grund und Gränze der Rechtsgemeinſchaft bei wandernden Völkern, für welche ein feſtes Landgebiet überhaupt nicht vorhanden iſt, wie bei den Germanen zur Zeit der Völker- wanderung. Bei dieſen hat ſich aber auch nach ihrer feſten Niederlaſſung auf dem alten Boden des Römiſchen Reichs derſelbe Grundſatz noch lange lebendig erhalten in dem Syſtem der perſönlichen Geſetze, die hier in demſelben Staate neben einander zur Anwendung kamen, und in deren Reihe jetzt, neben den Rechten der Franken, Lombarden u. ſ. w., auch das Römiſche Recht, als das fortdauernde perſönliche Recht der urſprünglichen Einwohner dieſer durch Eroberung neu gegründeten Staaten erſcheint (b).
(b)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 3 § 30—33.
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§ 346. Abſtammung und Landgebiet.
Suchen wir nun auf geſchichtlichem Wege zur Löſung
dieſer Aufgabe zu gelangen, ſo finden wir zwei Gründe,
wodurch von jeher im Großen und Ganzen eine ſolche Ge-
meinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen vor-
zugsweiſe beſtimmt und begränzt worden iſt: die Volks-
abſtammung, und das Landgebiet.
I. Die Volksabſtammung (Nationalität) als Grund
und Gränze der Rechtsgemeinſchaft hat zunächſt einen ganz
perſönlichen und unſichtbaren Charakter. Obgleich ſie,
ihrem Begriffe nach, den Einfluß der Willkür auszu-
ſchließen ſcheint, iſt ſie dennoch einer Erweiterung durch
die freie Aufnahme Einzelner empfänglich.
In großer Ausdehnung erſcheint die Nationalität als
Grund und Gränze der Rechtsgemeinſchaft bei wandernden
Völkern, für welche ein feſtes Landgebiet überhaupt nicht
vorhanden iſt, wie bei den Germanen zur Zeit der Völker-
wanderung. Bei dieſen hat ſich aber auch nach ihrer feſten
Niederlaſſung auf dem alten Boden des Römiſchen Reichs
derſelbe Grundſatz noch lange lebendig erhalten in dem
Syſtem der perſönlichen Geſetze, die hier in demſelben
Staate neben einander zur Anwendung kamen, und in deren
Reihe jetzt, neben den Rechten der Franken, Lombarden
u. ſ. w., auch das Römiſche Recht, als das fortdauernde
perſönliche Recht der urſprünglichen Einwohner dieſer durch
Eroberung neu gegründeten Staaten erſcheint (b).
(b) Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 3
§ 30—33.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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