Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
In den neueren Jahrhunderten finden wir noch jetzt im Türkischen Reich das vollständigste Bild dieser Art der Rechtsgemeinschaft. In den christlichen Staaten von Eu- ropa aber hat sich ein Ueberrest davon am längsten bei der Jüdischen Nation erhalten, in welcher die Fortdauer des nationalen Rechts, so wie die der abgesonderten Natio- nalität selbst, mit der Religion in Verbindung stand. Aber auch dieser Ueberrest verschwindet immer mehr (c).
Verwandt, aber nicht gleichbedeutend mit dem eben dar- gestellten Grunde der Rechtsgemeinschaft ist derjenige, wel- cher auf dem eigenthümlichen Bürgerverhältniß besonderer Klassen von Personen beruht. Ein solches erscheint bei den Römern sehr ausgebildet, und lange dauernd, in den Klassen der cives, latini, peregrini, welche wiederum mit den Systemen des jus civile und jus gentium zusammen- hängen (d). Dennoch hat diese Unterscheidung, obgleich in anderer Hinsicht sehr wichtig, in der Richtung, die uns hier ausschließend beschäftigt, niemals einen Einfluß erlangt, welcher dem Einfluß der Volksabstammung oder des Land- gebietes an die Seite gestellt werden könnte.
II. Das Landgebiet (die Territorialität) erscheint als der zweite besonders wichtige und verbreitete Grund, die Gemeinschaft des positiven Rechts unter den Einzelnen
(c) In Preußen z. B. ist schon im J. 1812 durch das Judenedict § 20. 21 für die Juden das ge- meine Recht der übrigen Einwohner als Regel aufgestellt, das beson- dere nationale Recht nur als Aus- nahme beibehalten worden.
(d) Vgl. oben B. 1 § 22, und: Geschichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 1.
Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
In den neueren Jahrhunderten finden wir noch jetzt im Türkiſchen Reich das vollſtändigſte Bild dieſer Art der Rechtsgemeinſchaft. In den chriſtlichen Staaten von Eu- ropa aber hat ſich ein Ueberreſt davon am längſten bei der Jüdiſchen Nation erhalten, in welcher die Fortdauer des nationalen Rechts, ſo wie die der abgeſonderten Natio- nalität ſelbſt, mit der Religion in Verbindung ſtand. Aber auch dieſer Ueberreſt verſchwindet immer mehr (c).
Verwandt, aber nicht gleichbedeutend mit dem eben dar- geſtellten Grunde der Rechtsgemeinſchaft iſt derjenige, wel- cher auf dem eigenthümlichen Bürgerverhältniß beſonderer Klaſſen von Perſonen beruht. Ein ſolches erſcheint bei den Römern ſehr ausgebildet, und lange dauernd, in den Klaſſen der cives, latini, peregrini, welche wiederum mit den Syſtemen des jus civile und jus gentium zuſammen- hängen (d). Dennoch hat dieſe Unterſcheidung, obgleich in anderer Hinſicht ſehr wichtig, in der Richtung, die uns hier ausſchließend beſchäftigt, niemals einen Einfluß erlangt, welcher dem Einfluß der Volksabſtammung oder des Land- gebietes an die Seite geſtellt werden könnte.
II. Das Landgebiet (die Territorialität) erſcheint als der zweite beſonders wichtige und verbreitete Grund, die Gemeinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen
(c) In Preußen z. B. iſt ſchon im J. 1812 durch das Judenedict § 20. 21 für die Juden das ge- meine Recht der übrigen Einwohner als Regel aufgeſtellt, das beſon- dere nationale Recht nur als Aus- nahme beibehalten worden.
(d) Vgl. oben B. 1 § 22, und: Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 1.
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Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.
In den neueren Jahrhunderten finden wir noch jetzt
im Türkiſchen Reich das vollſtändigſte Bild dieſer Art der
Rechtsgemeinſchaft. In den chriſtlichen Staaten von Eu-
ropa aber hat ſich ein Ueberreſt davon am längſten bei der
Jüdiſchen Nation erhalten, in welcher die Fortdauer des
nationalen Rechts, ſo wie die der abgeſonderten Natio-
nalität ſelbſt, mit der Religion in Verbindung ſtand. Aber
auch dieſer Ueberreſt verſchwindet immer mehr (c).
Verwandt, aber nicht gleichbedeutend mit dem eben dar-
geſtellten Grunde der Rechtsgemeinſchaft iſt derjenige, wel-
cher auf dem eigenthümlichen Bürgerverhältniß beſonderer
Klaſſen von Perſonen beruht. Ein ſolches erſcheint bei
den Römern ſehr ausgebildet, und lange dauernd, in den
Klaſſen der cives, latini, peregrini, welche wiederum mit
den Syſtemen des jus civile und jus gentium zuſammen-
hängen (d). Dennoch hat dieſe Unterſcheidung, obgleich in
anderer Hinſicht ſehr wichtig, in der Richtung, die uns hier
ausſchließend beſchäftigt, niemals einen Einfluß erlangt,
welcher dem Einfluß der Volksabſtammung oder des Land-
gebietes an die Seite geſtellt werden könnte.
II. Das Landgebiet (die Territorialität) erſcheint
als der zweite beſonders wichtige und verbreitete Grund,
die Gemeinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen
(c) In Preußen z. B. iſt ſchon
im J. 1812 durch das Judenedict
§ 20. 21 für die Juden das ge-
meine Recht der übrigen Einwohner
als Regel aufgeſtellt, das beſon-
dere nationale Recht nur als Aus-
nahme beibehalten worden.
(d) Vgl. oben B. 1 § 22,
und: Geſchichte des R. R. im
Mittelalter B. 1 § 1.
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/38>, abgerufen am 21.11.2024.
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