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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849.

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Buch III. Herrschaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.

Der Widerspruch gegen denselben gründet sich haupt-
sächlich auf folgende Verwechselung. Man sagt, der
Grundsatz der Nichtrückwirkung der Gesetze bezwecke blos
die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber
habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein
Recht erworben, ein solcher Erwerb trete für ihn ein erst
durch den Antritt der Erbschaft, und bis zu dieser könne
daher ein neues Gesetz die Erbfolge ändern, ohne sich einer
fehlerhaften Rückwirkung schuldig zu machen; beide Mo-
mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweise zu-
sammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbschaft
erwerbe.

Allein durch den bloßen Anfall der Erbschaft ist dem
berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That schon
erworben, und zwar ohne sein Zuthun, selbst ohne sein
Wissen: das ausschließende Recht nämlich, die deferirte
Erbschaft anzutreten und dadurch in sein Vermögen zu ver-
wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuschlagen. Dieses
ist ein wahres, erworbenes Recht, eben so sehr, wie jedes
andere, durch den Grundsatz der rückwirkenden Kraft gegen
ungehörige Einwirkung neuer Gesetze geschützt, also von
einer bloßen Erwartung durchaus verschieden: nur freilich
ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als
das, welches nachher durch den Antritt der Erbschaft ent-
steht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes
Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.


Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.

Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt-
ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der
Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos
die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber
habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein
Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt
durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne
daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer
fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo-
mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu-
ſammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbſchaft
erwerbe.

Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem
berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon
erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein
Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte
Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver-
wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes
iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes
andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen
ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von
einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich
ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als
das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent-
ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes
Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.


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[490/0512] Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen. Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt- ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo- mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu- ſammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbſchaft erwerbe. Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver- wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent- ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 8. Berlin, 1849, S. 490. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system08_1849/512>, abgerufen am 22.11.2024.