im Kopfe hast, lass fahren; was du in der Hand hast, wirf fort;
was auch dir entgegenkomme, weiche nicht!" Einer der grössten Scheiche der Sufi, Dschuneid, erklärte
das Sufithum so (Teskirat ol Aul. cod. ins. pers. f. 186 r.): "Der Zweck des Sufifhums ist, den
Geist befreien von dem Andrange der Leidenschaften, die Angewöhnungen der Natur ablegen, die
menschliche Natur ausziehen, die Sinne unterdrücken, geistige Beschaffenheiten annehmen, durch die
Erkenntniss der Wahrheit erhoben werden, was gut ist ausüben, das ist der Zweck des Sufithums." -
Dschelaleddin Rumi aber sagte noch schöner:
Ein Geschäft nur treiben Sufi auf der Erd', Dass ihr Herz ein reiner Spiegel Gottes
werd'. Ist das Herz ein Spiegelglas mondhell und rein, Bildern hunderttausend kann es
Spiegel sein.
Dem Symbole des Spiegels bei den Maurern dürfte daher gleichfalls diese Deutung gegeben werden.
- Sylvestre de Sacy sprach im Januarheft des Journal des Savans für 1821 bei Gelegenheit der
Recension des Werkes von Tholuk über den Szufismus die Ansicht aus, dass ein Ueberrest einer ältern
persischen Sekte diese Mystik erhalten und im Muhammedanismus fortgepflanzt habe; der Dabistan
erwähnt unter den alten Persern mystisch-pantheistische Sekten, die den Sufi sehr gleich kommen.
Tholuk, Blüthensammlung, S. 38, erhebt Bedenken gegen den persischen Ursprung der muhammedanischen
Mystik, weil schon unter den ersten Sufi Kleinasiaten waren, und weil die Mönchsorden des
Muhammedanismus insgesammt die Mystik der Sufi haben, so dass sie also nicht gerade auf Persien
beschränkt gewesen sei. Tholuk hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Sufismus das
Selbsterzeugniss einer innerlichen religiösen Erregung der Muhammedaner sei, welche schon bald nach
der Einführung des Muhammedanismus die tiefern Gemüther ergriff und nachher eine bestimmtere
Gestaltung gewann. Der Umstand aber, dass bei den Muhammedanern die Mönchsorden1) stets in Verbindung mit dem Szufismus erscheinen, lässt wenigstens an die Mög-
1) Vergleiche darüber besonders Muradgea d'Ohsson, tableau de l'Orient, ed. in fol. II.
im Kopfe hast, lass fahren; was du in der Hand hast, wirf fort;
was auch dir entgegenkomme, weiche nicht!“ Einer der grössten Scheiche der Sufi, Dschuneid, erklärte
das Sufithum so (Teskirat ol Aul. cod. ins. pers. f. 186 r.): „Der Zweck des Sufifhums ist, den
Geist befreien von dem Andrange der Leidenschaften, die Angewöhnungen der Natur ablegen, die
menschliche Natur ausziehen, die Sinne unterdrücken, geistige Beschaffenheiten annehmen, durch die
Erkenntniss der Wahrheit erhoben werden, was gut ist ausüben, das ist der Zweck des Sufithums.“ –
Dschelaleddin Rumi aber sagte noch schöner:
Ein Geschäft nur treiben Sufi auf der Erd’, Dass ihr Herz ein reiner Spiegel Gottes
werd’. Ist das Herz ein Spiegelglas mondhell und rein, Bildern hunderttausend kann es
Spiegel sein.
Dem Symbole des Spiegels bei den Maurern dürfte daher gleichfalls diese Deutung gegeben werden.
– Sylvestre de Sacy sprach im Januarheft des Journal des Savans für 1821 bei Gelegenheit der
Recension des Werkes von Tholuk über den Szufismus die Ansicht aus, dass ein Ueberrest einer ältern
persischen Sekte diese Mystik erhalten und im Muhammedanismus fortgepflanzt habe; der Dabistan
erwähnt unter den alten Persern mystisch-pantheistische Sekten, die den Sufi sehr gleich kommen.
Tholuk, Blüthensammlung, S. 38, erhebt Bedenken gegen den persischen Ursprung der muhammedanischen
Mystik, weil schon unter den ersten Sufi Kleinasiaten waren, und weil die Mönchsorden des
Muhammedanismus insgesammt die Mystik der Sufi haben, so dass sie also nicht gerade auf Persien
beschränkt gewesen sei. Tholuk hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Sufismus das
Selbsterzeugniss einer innerlichen religiösen Erregung der Muhammedaner sei, welche schon bald nach
der Einführung des Muhammedanismus die tiefern Gemüther ergriff und nachher eine bestimmtere
Gestaltung gewann. Der Umstand aber, dass bei den Muhammedanern die Mönchsorden1) stets in Verbindung mit dem Szufismus erscheinen, lässt wenigstens an die Mög-
1) Vergleiche darüber besonders Muradgea d’Ohsson, tableau de l’Orient, ed. in fol. II.
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im Kopfe hast, lass fahren; was du in der Hand hast, wirf fort;
was auch dir entgegenkomme, weiche nicht!“ Einer der grössten Scheiche der Sufi, Dschuneid, erklärte
das Sufithum so (Teskirat ol Aul. cod. ins. pers. f. 186 r.): „Der Zweck des Sufifhums ist, den
Geist befreien von dem Andrange der Leidenschaften, die Angewöhnungen der Natur ablegen, die
menschliche Natur ausziehen, die Sinne unterdrücken, geistige Beschaffenheiten annehmen, durch die
Erkenntniss der Wahrheit erhoben werden, was gut ist ausüben, das ist der Zweck des Sufithums.“–
Dschelaleddin Rumi aber sagte noch schöner:
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Dem Symbole des Spiegels bei den Maurern dürfte daher gleichfalls diese Deutung gegeben werden.
– Sylvestre de Sacy sprach im Januarheft des Journal des Savans für 1821 bei Gelegenheit der
Recension des Werkes von Tholuk über den Szufismus die Ansicht aus, dass ein Ueberrest einer ältern
persischen Sekte diese Mystik erhalten und im Muhammedanismus fortgepflanzt habe; der Dabistan
erwähnt unter den alten Persern mystisch-pantheistische Sekten, die den Sufi sehr gleich kommen.
Tholuk, Blüthensammlung, S. 38, erhebt Bedenken gegen den persischen Ursprung der muhammedanischen
Mystik, weil schon unter den ersten Sufi Kleinasiaten waren, und weil die Mönchsorden des
Muhammedanismus insgesammt die Mystik der Sufi haben, so dass sie also nicht gerade auf Persien
beschränkt gewesen sei. Tholuk hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Sufismus das
Selbsterzeugniss einer innerlichen religiösen Erregung der Muhammedaner sei, welche schon bald nach
der Einführung des Muhammedanismus die tiefern Gemüther ergriff und nachher eine bestimmtere
Gestaltung gewann. Der Umstand aber, dass bei den Muhammedanern die Mönchsorden<noteplace="foot"n="1)">Vergleiche darüber besonders Muradgea d’Ohsson, tableau de l’Orient, ed. in fol. II. </note>
stets in Verbindung mit dem Szufismus erscheinen, lässt wenigstens an die Mög-
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[573/0589]
im Kopfe hast, lass fahren; was du in der Hand hast, wirf fort; was auch dir entgegenkomme, weiche nicht!“ Einer der grössten Scheiche der Sufi, Dschuneid, erklärte das Sufithum so (Teskirat ol Aul. cod. ins. pers. f. 186 r.): „Der Zweck des Sufifhums ist, den Geist befreien von dem Andrange der Leidenschaften, die Angewöhnungen der Natur ablegen, die menschliche Natur ausziehen, die Sinne unterdrücken, geistige Beschaffenheiten annehmen, durch die Erkenntniss der Wahrheit erhoben werden, was gut ist ausüben, das ist der Zweck des Sufithums.“ – Dschelaleddin Rumi aber sagte noch schöner: Ein Geschäft nur treiben Sufi auf der Erd’,
Dass ihr Herz ein reiner Spiegel Gottes werd’.
Ist das Herz ein Spiegelglas mondhell und rein,
Bildern hunderttausend kann es Spiegel sein. Dem Symbole des Spiegels bei den Maurern dürfte daher gleichfalls diese Deutung gegeben werden. – Sylvestre de Sacy sprach im Januarheft des Journal des Savans für 1821 bei Gelegenheit der Recension des Werkes von Tholuk über den Szufismus die Ansicht aus, dass ein Ueberrest einer ältern persischen Sekte diese Mystik erhalten und im Muhammedanismus fortgepflanzt habe; der Dabistan erwähnt unter den alten Persern mystisch-pantheistische Sekten, die den Sufi sehr gleich kommen. Tholuk, Blüthensammlung, S. 38, erhebt Bedenken gegen den persischen Ursprung der muhammedanischen Mystik, weil schon unter den ersten Sufi Kleinasiaten waren, und weil die Mönchsorden des Muhammedanismus insgesammt die Mystik der Sufi haben, so dass sie also nicht gerade auf Persien beschränkt gewesen sei. Tholuk hält es für das Wahrscheinlichste, dass der Sufismus das Selbsterzeugniss einer innerlichen religiösen Erregung der Muhammedaner sei, welche schon bald nach der Einführung des Muhammedanismus die tiefern Gemüther ergriff und nachher eine bestimmtere Gestaltung gewann. Der Umstand aber, dass bei den Muhammedanern die Mönchsorden 1) stets in Verbindung mit dem Szufismus erscheinen, lässt wenigstens an die Mög-
1) Vergleiche darüber besonders Muradgea d’Ohsson, tableau de l’Orient, ed. in fol. II.
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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 573. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/589>, abgerufen am 22.11.2024.
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