Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

schönsten und höchsten Sinne fehlt ihren Staaten, ihren Bauten und ihren Himmeln; die Staaten sind nur despotisch, die Bauten kolossal, die Kunstwerke missgestaltet und die Himmel pantheistisch. Der orientalische Pantheismus beruht mit dem Despotismus ihrer Staaten und dem Kolossalen ihrer Bauten auf derselben Grundlage, auf dem Aufgeben und Opfern der individuellen Freiheit und des individuellen Lebens, - auf der Unfähigkeit, den einmal erfassten Begriff festzuhalten und lebensvoll darzustellen; die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit auf Erden und im Himmel, die wahre Fortdauer des auf Erden frei gewordenen und gewesenen Menschen auch nach seinem Tode in dem Himmel wurde erst von den Parsen, Juden, Aegyptern und Kelten geahnet und von den Griechen und Germanen erkannt und geschaffen. Die Gesetze des Menu um das Jahr 900 v. Chr. haben bei den Indern den Pantheismus vorzüglich befestigt; denn sie sagen, dass Gott und die Welt dieselben oder identisch, dass Geist und Materie unzertrennlich sind, dass Gott Alles, und Alles Gott ist. Die Herrschergewalt im Himmel und auf Erden allmächtig zu machen, ihr sich unbedingt zu unterwerfen, sie über Alles zu setzen und zu verehren, vor ihr und in ihr zu vergehen, ist der Grundzug der orientalischen Menschheit. Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 28, zeichnet dieses dahin: "Die Ueberschwenglichkeit des Gefühls, geleitet durch das beharrliche Streben des Orients nach Consequenz, führt den Indier und den Sinesen, in welchem das Bewusstsein des Unendlichen im Menschen erwacht ist, zu einer so starren, unbeweglichen Hinrichtung auf dasselbe, dass seinen Blicken der Sinn für alles Einzelne und Endliche völlig verschwindet."

Zu Ende des zweiten und im Anfange des dritten Jahrhunderts des Muhammedanismus finden wir nun auch häufige Erwähnungen der Sufi als einer besonderen Gattung religiöser Menschen. Der Sufismus ist nichts Anderes als eine gemüthvolle Mystik, welche da, wo sie mehr ausgebildet ist, sich pantheistisch ausspricht. Derjenige, welcher als Stifter des Sufi genannt wird, Abu Said Abul Cheir, wurde gefragt (Dschami Beharistan, cod. ms. pers. Raudat I.), was der Sufismus sei und sagte selbst: "Was du

schönsten und höchsten Sinne fehlt ihren Staaten, ihren Bauten und ihren Himmeln; die Staaten sind nur despotisch, die Bauten kolossal, die Kunstwerke missgestaltet und die Himmel pantheistisch. Der orientalische Pantheismus beruht mit dem Despotismus ihrer Staaten und dem Kolossalen ihrer Bauten auf derselben Grundlage, auf dem Aufgeben und Opfern der individuellen Freiheit und des individuellen Lebens, – auf der Unfähigkeit, den einmal erfassten Begriff festzuhalten und lebensvoll darzustellen; die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit auf Erden und im Himmel, die wahre Fortdauer des auf Erden frei gewordenen und gewesenen Menschen auch nach seinem Tode in dem Himmel wurde erst von den Parsen, Juden, Aegyptern und Kelten geahnet und von den Griechen und Germanen erkannt und geschaffen. Die Gesetze des Menu um das Jahr 900 v. Chr. haben bei den Indern den Pantheismus vorzüglich befestigt; denn sie sagen, dass Gott und die Welt dieselben oder identisch, dass Geist und Materie unzertrennlich sind, dass Gott Alles, und Alles Gott ist. Die Herrschergewalt im Himmel und auf Erden allmächtig zu machen, ihr sich unbedingt zu unterwerfen, sie über Alles zu setzen und zu verehren, vor ihr und in ihr zu vergehen, ist der Grundzug der orientalischen Menschheit. Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 28, zeichnet dieses dahin: „Die Ueberschwenglichkeit des Gefühls, geleitet durch das beharrliche Streben des Orients nach Consequenz, führt den Indier und den Sinesen, in welchem das Bewusstsein des Unendlichen im Menschen erwacht ist, zu einer so starren, unbeweglichen Hinrichtung auf dasselbe, dass seinen Blicken der Sinn für alles Einzelne und Endliche völlig verschwindet.“

Zu Ende des zweiten und im Anfange des dritten Jahrhunderts des Muhammedanismus finden wir nun auch häufige Erwähnungen der Sufi als einer besonderen Gattung religiöser Menschen. Der Sufismus ist nichts Anderes als eine gemüthvolle Mystik, welche da, wo sie mehr ausgebildet ist, sich pantheistisch ausspricht. Derjenige, welcher als Stifter des Sufi genannt wird, Abu Said Abul Cheir, wurde gefragt (Dschami Beharistan, cod. ms. pers. Raudat I.), was der Sufismus sei und sagte selbst: „Was du

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0588" n="572"/>
schönsten und höchsten Sinne fehlt ihren Staaten, ihren
 Bauten und ihren Himmeln; die Staaten sind nur despotisch, die Bauten kolossal, die Kunstwerke
 missgestaltet und die Himmel pantheistisch. Der orientalische Pantheismus beruht mit dem Despotismus
 ihrer Staaten und dem Kolossalen ihrer Bauten auf derselben Grundlage, auf dem Aufgeben und Opfern
 der individuellen Freiheit und des individuellen Lebens, &#x2013; auf der Unfähigkeit, den einmal erfassten
 Begriff festzuhalten und lebensvoll darzustellen; die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit auf
 Erden und im Himmel, die wahre Fortdauer des auf Erden frei gewordenen und gewesenen Menschen auch
 nach seinem Tode in dem Himmel wurde erst von den Parsen, Juden, Aegyptern und Kelten geahnet und
 von den Griechen und Germanen erkannt und geschaffen. Die Gesetze des Menu um das Jahr 900 v. Chr.
 haben bei den Indern den Pantheismus vorzüglich befestigt; denn sie sagen, dass Gott und die Welt
 dieselben oder identisch, dass Geist und Materie unzertrennlich sind, dass Gott Alles, und Alles
 Gott ist. Die Herrschergewalt im Himmel und auf Erden allmächtig zu machen, ihr sich unbedingt zu
 unterwerfen, sie über Alles zu setzen und zu verehren, vor ihr und in ihr zu vergehen, ist der
 Grundzug der orientalischen Menschheit. Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S.
 28, zeichnet dieses dahin: &#x201E;Die Ueberschwenglichkeit des Gefühls, geleitet durch das beharrliche
 Streben des Orients nach Consequenz, führt den Indier und den Sinesen, in welchem das Bewusstsein
 des Unendlichen im Menschen erwacht ist, zu einer so starren, unbeweglichen Hinrichtung auf
 dasselbe, dass seinen Blicken der Sinn für alles Einzelne und Endliche völlig verschwindet.&#x201C;</p>
        <p> Zu Ende des zweiten und im Anfange des dritten Jahrhunderts des Muhammedanismus finden wir nun
 auch häufige Erwähnungen der Sufi als einer besonderen Gattung religiöser Menschen. Der Sufismus ist
 nichts Anderes als eine gemüthvolle Mystik, welche da, wo sie mehr ausgebildet ist, sich
 pantheistisch ausspricht. Derjenige, welcher als Stifter des Sufi genannt wird, Abu Said Abul Cheir,
 wurde gefragt (Dschami Beharistan, cod. ms. pers. Raudat I.), was der Sufismus sei und sagte selbst:
 &#x201E;Was du
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[572/0588] schönsten und höchsten Sinne fehlt ihren Staaten, ihren Bauten und ihren Himmeln; die Staaten sind nur despotisch, die Bauten kolossal, die Kunstwerke missgestaltet und die Himmel pantheistisch. Der orientalische Pantheismus beruht mit dem Despotismus ihrer Staaten und dem Kolossalen ihrer Bauten auf derselben Grundlage, auf dem Aufgeben und Opfern der individuellen Freiheit und des individuellen Lebens, – auf der Unfähigkeit, den einmal erfassten Begriff festzuhalten und lebensvoll darzustellen; die menschliche Freiheit und Selbstständigkeit auf Erden und im Himmel, die wahre Fortdauer des auf Erden frei gewordenen und gewesenen Menschen auch nach seinem Tode in dem Himmel wurde erst von den Parsen, Juden, Aegyptern und Kelten geahnet und von den Griechen und Germanen erkannt und geschaffen. Die Gesetze des Menu um das Jahr 900 v. Chr. haben bei den Indern den Pantheismus vorzüglich befestigt; denn sie sagen, dass Gott und die Welt dieselben oder identisch, dass Geist und Materie unzertrennlich sind, dass Gott Alles, und Alles Gott ist. Die Herrschergewalt im Himmel und auf Erden allmächtig zu machen, ihr sich unbedingt zu unterwerfen, sie über Alles zu setzen und zu verehren, vor ihr und in ihr zu vergehen, ist der Grundzug der orientalischen Menschheit. Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 28, zeichnet dieses dahin: „Die Ueberschwenglichkeit des Gefühls, geleitet durch das beharrliche Streben des Orients nach Consequenz, führt den Indier und den Sinesen, in welchem das Bewusstsein des Unendlichen im Menschen erwacht ist, zu einer so starren, unbeweglichen Hinrichtung auf dasselbe, dass seinen Blicken der Sinn für alles Einzelne und Endliche völlig verschwindet.“ Zu Ende des zweiten und im Anfange des dritten Jahrhunderts des Muhammedanismus finden wir nun auch häufige Erwähnungen der Sufi als einer besonderen Gattung religiöser Menschen. Der Sufismus ist nichts Anderes als eine gemüthvolle Mystik, welche da, wo sie mehr ausgebildet ist, sich pantheistisch ausspricht. Derjenige, welcher als Stifter des Sufi genannt wird, Abu Said Abul Cheir, wurde gefragt (Dschami Beharistan, cod. ms. pers. Raudat I.), was der Sufismus sei und sagte selbst: „Was du

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/588
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/588>, abgerufen am 22.11.2024.