aber eine grosse Menge
Reisekost hat, dass er sie nicht selbst zu tragen vermag; der Andere hingegen ist stark und
sehkräftig, doch ohne Reisekost: da führt nun der Starke den Blinden, trägt dessen Last und zehrt
dafür mit ihm, bis beide glücklich zum Ziele gelangen. Diese innige Verbindung muss stattfinden, da
in der Welt zwei Gegensätze, der des Leibes und der des Geistes, bestehen; nun gibt es vier Arten
der Menschen: die Einen haben Geist und Gut, noch Andere endlich nur Kenntniss. In Güte und Liebe
mussten daher die Glücksgüter ausgetauscht und ausgetheilt werden. Sie theilen dann die Mitglieder
ihres Bundes, der Seelenkraft eines Jeden gemäss, in vier Stufen: die Geschickten (Dsawu-s-szana
'i), die mit der Leitung (as-sijasa) Begabten, die Könige und Herrscher - und die Könige und
Herrscher der Könige und Herrscher, und die vier Stufen wurden mit dem Alter von 15, 30, 40 und 50
Jahren erreicht. Die letzte Stufe war der zum Tode, zur Trennung von der Materie und zur Rückkehr in
den Himmel vorbereitende Meistergrad. Diese Stufe bezeichnet der Koran (S. 89, 28) mit den Worten:
"0! du beruhigte Seele, kehre heim zu deinem Herrn, zufriedenstellend und zufriedengestellt."
In welchem Sinne der Mensch und die Welt das Spiegelbild, das Ebenbild der Gottheit sei, darüber
spricht Mahmud's Lehrgedicht Gülschen Ras, Rosenbeet des Geheimnisses, aus dem Jahr 1339 sich also
aus:
Stellst einem Spiegel du dich gegenüber, Strahlt dein Gesicht in jenem Spiegel
wieder, Im Bilde kannst du deine Züge lesen, Doch ist's nicht Du, auch ist's kein anderes
Wesen. So strahlt die Welt aus Gottes Antlitz wieder, Sie ist nicht Er, und doch ist Er
sie wieder. 1)
Derselbe spricht als die mystische Bedeutung des Christenthums aus:
Weisst du, was das Christenthum? Ich will es dir sagen. Gräbt die eigne Ichheit aus,
will zu Gott dich tragen, Deine Seel' ein Kloster ist, drin die Einheit wohnet, Ein
Jerusalem du bist, da der Ew'ge thronet,
1) Tholuk, a. a. O., S. 209.
aber eine grosse Menge
Reisekost hat, dass er sie nicht selbst zu tragen vermag; der Andere hingegen ist stark und
sehkräftig, doch ohne Reisekost: da führt nun der Starke den Blinden, trägt dessen Last und zehrt
dafür mit ihm, bis beide glücklich zum Ziele gelangen. Diese innige Verbindung muss stattfinden, da
in der Welt zwei Gegensätze, der des Leibes und der des Geistes, bestehen; nun gibt es vier Arten
der Menschen: die Einen haben Geist und Gut, noch Andere endlich nur Kenntniss. In Güte und Liebe
mussten daher die Glücksgüter ausgetauscht und ausgetheilt werden. Sie theilen dann die Mitglieder
ihres Bundes, der Seelenkraft eines Jeden gemäss, in vier Stufen: die Geschickten (Dsawu-s-szana
’i), die mit der Leitung (as-sijasa) Begabten, die Könige und Herrscher - und die Könige und
Herrscher der Könige und Herrscher, und die vier Stufen wurden mit dem Alter von 15, 30, 40 und 50
Jahren erreicht. Die letzte Stufe war der zum Tode, zur Trennung von der Materie und zur Rückkehr in
den Himmel vorbereitende Meistergrad. Diese Stufe bezeichnet der Koran (S. 89, 28) mit den Worten:
„0! du beruhigte Seele, kehre heim zu deinem Herrn, zufriedenstellend und zufriedengestellt.“
In welchem Sinne der Mensch und die Welt das Spiegelbild, das Ebenbild der Gottheit sei, darüber
spricht Mahmud’s Lehrgedicht Gülschen Ras, Rosenbeet des Geheimnisses, aus dem Jahr 1339 sich also
aus:
Stellst einem Spiegel du dich gegenüber, Strahlt dein Gesicht in jenem Spiegel
wieder, Im Bilde kannst du deine Züge lesen, Doch ist’s nicht Du, auch ist’s kein anderes
Wesen. So strahlt die Welt aus Gottes Antlitz wieder, Sie ist nicht Er, und doch ist Er
sie wieder. 1)
Derselbe spricht als die mystische Bedeutung des Christenthums aus:
Weisst du, was das Christenthum? Ich will es dir sagen. Gräbt die eigne Ichheit aus,
will zu Gott dich tragen, Deine Seel’ ein Kloster ist, drin die Einheit wohnet, Ein
Jerusalem du bist, da der Ew’ge thronet,
1) Tholuk, a. a. O., S. 209.
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Reisekost hat, dass er sie nicht selbst zu tragen vermag; der Andere hingegen ist stark und
sehkräftig, doch ohne Reisekost: da führt nun der Starke den Blinden, trägt dessen Last und zehrt
dafür mit ihm, bis beide glücklich zum Ziele gelangen. Diese innige Verbindung muss stattfinden, da
in der Welt zwei Gegensätze, der des Leibes und der des Geistes, bestehen; nun gibt es vier Arten
der Menschen: die Einen haben Geist und Gut, noch Andere endlich nur Kenntniss. In Güte und Liebe
mussten daher die Glücksgüter ausgetauscht und ausgetheilt werden. Sie theilen dann die Mitglieder
ihres Bundes, der Seelenkraft eines Jeden gemäss, in vier Stufen: die Geschickten (Dsawu-s-szana
’i), die mit der Leitung (as-sijasa) Begabten, die Könige und Herrscher - und die Könige und
Herrscher der Könige und Herrscher, und die vier Stufen wurden mit dem Alter von 15, 30, 40 und 50
Jahren erreicht. Die letzte Stufe war der zum Tode, zur Trennung von der Materie und zur Rückkehr in
den Himmel vorbereitende Meistergrad. Diese Stufe bezeichnet der Koran (S. 89, 28) mit den Worten:
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aber eine grosse Menge Reisekost hat, dass er sie nicht selbst zu tragen vermag; der Andere hingegen ist stark und sehkräftig, doch ohne Reisekost: da führt nun der Starke den Blinden, trägt dessen Last und zehrt dafür mit ihm, bis beide glücklich zum Ziele gelangen. Diese innige Verbindung muss stattfinden, da in der Welt zwei Gegensätze, der des Leibes und der des Geistes, bestehen; nun gibt es vier Arten der Menschen: die Einen haben Geist und Gut, noch Andere endlich nur Kenntniss. In Güte und Liebe mussten daher die Glücksgüter ausgetauscht und ausgetheilt werden. Sie theilen dann die Mitglieder ihres Bundes, der Seelenkraft eines Jeden gemäss, in vier Stufen: die Geschickten (Dsawu-s-szana ’i), die mit der Leitung (as-sijasa) Begabten, die Könige und Herrscher - und die Könige und Herrscher der Könige und Herrscher, und die vier Stufen wurden mit dem Alter von 15, 30, 40 und 50 Jahren erreicht. Die letzte Stufe war der zum Tode, zur Trennung von der Materie und zur Rückkehr in den Himmel vorbereitende Meistergrad. Diese Stufe bezeichnet der Koran (S. 89, 28) mit den Worten: „0! du beruhigte Seele, kehre heim zu deinem Herrn, zufriedenstellend und zufriedengestellt.“
In welchem Sinne der Mensch und die Welt das Spiegelbild, das Ebenbild der Gottheit sei, darüber spricht Mahmud’s Lehrgedicht Gülschen Ras, Rosenbeet des Geheimnisses, aus dem Jahr 1339 sich also aus: Stellst einem Spiegel du dich gegenüber,
Strahlt dein Gesicht in jenem Spiegel wieder,
Im Bilde kannst du deine Züge lesen,
Doch ist’s nicht Du, auch ist’s kein anderes Wesen.
So strahlt die Welt aus Gottes Antlitz wieder,
Sie ist nicht Er, und doch ist Er sie wieder. 1) Derselbe spricht als die mystische Bedeutung des Christenthums aus: Weisst du, was das Christenthum? Ich will es dir sagen.
Gräbt die eigne Ichheit aus, will zu Gott dich tragen,
Deine Seel’ ein Kloster ist, drin die Einheit wohnet,
Ein Jerusalem du bist, da der Ew’ge thronet,
1) Tholuk, a. a. O., S. 209.
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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/598>, abgerufen am 16.07.2024.
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