Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Genien, welche wir zuerst bei den Aegyptern, dann bei den Griechen, bei den Etruskern und Römern finden, sind im Grunde nur die Personifikationen der in dem Menschen liegenden Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, der ihm in seiner Willensfreiheit überlassenen Wahl zwischen zwei Wegen. Es ist bekannt, dass dem Brutus kurz vor seinem Untergange sein böser Genius erschienen sein sollte. Neben der Vorstellung von den zwei Genien des Menschen erscheint bei den Römern aber auch der Genius als der dem Menschen bei seiner Geburt mitgegebene, zwar von ihm unzertrennliche, aber doch wesentlich verschiedene Schutzgeist; nach andern Aeusserungen war auch der Genius von dem Menschen selbst nicht unterschieden, war des Menschen eigener Geist.1) In der letztern Hinsicht lehrte z. B. bei den Römern der gefeierte stoische Moralist Epictet, welcher übrigens zu Hieropolis in Phrygien im Jahr 90 nach Christus geboren war, der Dämon in uns sei unsere eigene Vernunft und unser Wille, als ursprünglich aus Gott emanirt und in ihrer idealen Reinheit gedacht, dieses sei die höhere Macht, auf deren Hülfe wir vertrauen und die wir anrufen sollen.2) Bei den Griechen hatte schon früher Heraklitus erklärt, dass es einen von der Seele selbst verschiedenen Genius als Führer des Lebens nicht gebe, sondern dass des Menschen Gemüth und Charakter sein Genius sei.

Die Römer pflegten auch bei ihrem Genius, der als ein Ausfluss Jupiters betrachtet wurde, zu schwören; Unterthanen schworen bei dem Genius des Kaisers und seinem Glücke.

Bei den Römern hatte jeder einzelne Mensch, Haus, Stadt und Volk, menschlicher und staatlicher Verein u. s. w. seinen leitenden und beseelenden Genius. Sogar die Zollerhebungsstätten (stationes) hatten einen genius stationis dem z. B. bei St. Maurice in Wallis eine Inschrift gewidmet ist.3) Das Wort genius ist auch zunächst römischen

1) Döllinger, a. a. O., S. 513.
2) Döllinger, a. a. O., S. 577.
3) Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, Zürich 1854, S. 8, Anm. 9.

Genien, welche wir zuerst bei den Aegyptern, dann bei den Griechen, bei den Etruskern und Römern finden, sind im Grunde nur die Personifikationen der in dem Menschen liegenden Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, der ihm in seiner Willensfreiheit überlassenen Wahl zwischen zwei Wegen. Es ist bekannt, dass dem Brutus kurz vor seinem Untergange sein böser Genius erschienen sein sollte. Neben der Vorstellung von den zwei Genien des Menschen erscheint bei den Römern aber auch der Genius als der dem Menschen bei seiner Geburt mitgegebene, zwar von ihm unzertrennliche, aber doch wesentlich verschiedene Schutzgeist; nach andern Aeusserungen war auch der Genius von dem Menschen selbst nicht unterschieden, war des Menschen eigener Geist.1) In der letztern Hinsicht lehrte z. B. bei den Römern der gefeierte stoische Moralist Epictet, welcher übrigens zu Hieropolis in Phrygien im Jahr 90 nach Christus geboren war, der Dämon in uns sei unsere eigene Vernunft und unser Wille, als ursprünglich aus Gott emanirt und in ihrer idealen Reinheit gedacht, dieses sei die höhere Macht, auf deren Hülfe wir vertrauen und die wir anrufen sollen.2) Bei den Griechen hatte schon früher Heraklitus erklärt, dass es einen von der Seele selbst verschiedenen Genius als Führer des Lebens nicht gebe, sondern dass des Menschen Gemüth und Charakter sein Genius sei.

Die Römer pflegten auch bei ihrem Genius, der als ein Ausfluss Jupiters betrachtet wurde, zu schwören; Unterthanen schworen bei dem Genius des Kaisers und seinem Glücke.

Bei den Römern hatte jeder einzelne Mensch, Haus, Stadt und Volk, menschlicher und staatlicher Verein u. s. w. seinen leitenden und beseelenden Genius. Sogar die Zollerhebungsstätten (stationes) hatten einen genius stationis dem z. B. bei St. Maurice in Wallis eine Inschrift gewidmet ist.3) Das Wort genius ist auch zunächst römischen

1) Döllinger, a. a. O., S. 513.
2) Döllinger, a. a. O., S. 577.
3) Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, Zürich 1854, S. 8, Anm. 9.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0614" n="598"/>
Genien, welche wir zuerst bei den Aegyptern, dann bei den Griechen, bei
 den Etruskern und Römern finden, sind im Grunde nur die Personifikationen der in dem Menschen
 liegenden Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, der ihm in seiner Willensfreiheit überlassenen Wahl
 zwischen zwei Wegen. Es ist bekannt, dass dem Brutus kurz vor seinem Untergange sein böser Genius
 erschienen sein sollte. Neben der Vorstellung von den zwei Genien des Menschen erscheint bei den
 Römern aber auch der Genius als der dem Menschen bei seiner Geburt mitgegebene, zwar von ihm
 unzertrennliche, aber doch wesentlich verschiedene Schutzgeist; nach andern Aeusserungen war auch
 der Genius von dem Menschen selbst nicht unterschieden, war des Menschen eigener Geist.<note place="foot" n="1)">Döllinger, a. a. O., S. 513.</note> In der letztern Hinsicht lehrte z. B. bei
 den Römern der gefeierte stoische Moralist Epictet, welcher übrigens zu Hieropolis in Phrygien im
 Jahr 90 nach Christus geboren war, der Dämon in uns sei unsere eigene Vernunft und unser Wille, als
 ursprünglich aus Gott emanirt und in ihrer idealen Reinheit gedacht, dieses sei die höhere Macht,
 auf deren Hülfe wir vertrauen und die wir anrufen sollen.<note place="foot" n="2)">Döllinger, a. a.
 O., S. 577.</note> Bei den Griechen hatte schon früher Heraklitus erklärt, dass es einen von der
 Seele selbst verschiedenen Genius als Führer des Lebens nicht gebe, sondern dass des Menschen Gemüth
 und Charakter sein Genius sei.</p>
        <p> Die Römer pflegten auch bei ihrem Genius, der als ein Ausfluss Jupiters betrachtet wurde, zu
 schwören; Unterthanen schworen bei dem Genius des Kaisers und seinem Glücke.</p>
        <p> Bei den Römern hatte jeder einzelne Mensch, Haus, Stadt und Volk, menschlicher und staatlicher
 Verein u. s. w. seinen leitenden und beseelenden Genius. Sogar die Zollerhebungsstätten (stationes)
 hatten einen genius stationis dem z. B. bei St. Maurice in Wallis eine Inschrift gewidmet ist.<note place="foot" n="3)">Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, Zürich 1854, S. 8, Anm. 9. </note> Das
 Wort genius ist auch zunächst römischen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[598/0614] Genien, welche wir zuerst bei den Aegyptern, dann bei den Griechen, bei den Etruskern und Römern finden, sind im Grunde nur die Personifikationen der in dem Menschen liegenden Möglichkeit zum Guten und zum Bösen, der ihm in seiner Willensfreiheit überlassenen Wahl zwischen zwei Wegen. Es ist bekannt, dass dem Brutus kurz vor seinem Untergange sein böser Genius erschienen sein sollte. Neben der Vorstellung von den zwei Genien des Menschen erscheint bei den Römern aber auch der Genius als der dem Menschen bei seiner Geburt mitgegebene, zwar von ihm unzertrennliche, aber doch wesentlich verschiedene Schutzgeist; nach andern Aeusserungen war auch der Genius von dem Menschen selbst nicht unterschieden, war des Menschen eigener Geist. 1) In der letztern Hinsicht lehrte z. B. bei den Römern der gefeierte stoische Moralist Epictet, welcher übrigens zu Hieropolis in Phrygien im Jahr 90 nach Christus geboren war, der Dämon in uns sei unsere eigene Vernunft und unser Wille, als ursprünglich aus Gott emanirt und in ihrer idealen Reinheit gedacht, dieses sei die höhere Macht, auf deren Hülfe wir vertrauen und die wir anrufen sollen. 2) Bei den Griechen hatte schon früher Heraklitus erklärt, dass es einen von der Seele selbst verschiedenen Genius als Führer des Lebens nicht gebe, sondern dass des Menschen Gemüth und Charakter sein Genius sei. Die Römer pflegten auch bei ihrem Genius, der als ein Ausfluss Jupiters betrachtet wurde, zu schwören; Unterthanen schworen bei dem Genius des Kaisers und seinem Glücke. Bei den Römern hatte jeder einzelne Mensch, Haus, Stadt und Volk, menschlicher und staatlicher Verein u. s. w. seinen leitenden und beseelenden Genius. Sogar die Zollerhebungsstätten (stationes) hatten einen genius stationis dem z. B. bei St. Maurice in Wallis eine Inschrift gewidmet ist. 3) Das Wort genius ist auch zunächst römischen 1) Döllinger, a. a. O., S. 513. 2) Döllinger, a. a. O., S. 577. 3) Mommsen, die Schweiz in römischer Zeit, Zürich 1854, S. 8, Anm. 9.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/614
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 598. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/614>, abgerufen am 22.11.2024.