Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

wünsche ich die Liebe des Evangelisten, möchten ihr alle Brüder so unerschütterlich treu ergeben sein, als der Evangelist dem Herrn ergeben war. Meine Brüder alle, vergessen Sie niemals, dass der Evangelist, da es ihm wegen Altersschwäche nicht mehr möglich war, ausführlich zu der Gemeinde zu reden, - sich dennoch stets in ihre Versammlungen tragen liess, und ihnen, so oft er kam, die Worte zurief: "Kinder, liebet euch unter einander." Mein zweites Hoch dem Johannissegen, der Bruderliebe und Brudertreue!

Wenn früher treue Freunde, wenn Brüder scheiden mussten, tranken sie vor dem Scheiden und vor dem Antritte der gefahrvollen Reise den letzten liebevollen Trunk, den Johannistrunk oder Johannissegen, womit man sich gegenseitig die Liebe und Treue des Evangelisten, das Wiedersehen mit dem alten Herzen anwünschte. In den Rheinlanden und besonders im Rheingau wird noch heute unter dem Namen des Johannistrunkes der freundliche Abschied getrunken. Mein stärkstes, letztes Hoch dem Johannissegen, dem treuen Wiedersehen! 1)

Das Trinken des Johannissegens ist nur die christliche Umwandlung und Umgestaltung der alten heidnischen Trankopfer, des Minne- oder Gedächtnisstrinkens der Götter, besonders Wuotans, Thors, Njörds, Freys und Freyjas. Auch gehört hierher der maurerische Gebrauch, dass an dem Feste Johannis des Täufers auf das Andenken aller abwesenden und wandernden Maurer der ganzen Erde ein Trunk mit einem dreifachen Hoch getrunken wird. Auch dieser maurerische Johannistrunk, Johannisminne, wovon sich selbst im deutschen Volksleben noch manche Spuren erhalten haben (Morgenblatt 1854, S. 688), ist heidnischen Ursprunges und die Tafellogen der Maurer an dem Feste Johannis des Evangelisten und des Täufers sind wohl überhaupt nur die Ueberreste der in diesen Zeiten einst üblichen heidnischen

1) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 249 ff.; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Thl. II. S. 268 und S. 593; Benecke, mittelhochdeutsches Wörterbuch, unter Minne und Segen; Ersch und Gruber, allgemeine Encyklopädie, Sect. II. Thl. XXII. S. 271; Simrok, deutsche Mythologie, S. 521.

wünsche ich die Liebe des Evangelisten, möchten ihr alle Brüder so unerschütterlich treu ergeben sein, als der Evangelist dem Herrn ergeben war. Meine Brüder alle, vergessen Sie niemals, dass der Evangelist, da es ihm wegen Altersschwäche nicht mehr möglich war, ausführlich zu der Gemeinde zu reden, – sich dennoch stets in ihre Versammlungen tragen liess, und ihnen, so oft er kam, die Worte zurief: „Kinder, liebet euch unter einander.“ Mein zweites Hoch dem Johannissegen, der Bruderliebe und Brudertreue!

Wenn früher treue Freunde, wenn Brüder scheiden mussten, tranken sie vor dem Scheiden und vor dem Antritte der gefahrvollen Reise den letzten liebevollen Trunk, den Johannistrunk oder Johannissegen, womit man sich gegenseitig die Liebe und Treue des Evangelisten, das Wiedersehen mit dem alten Herzen anwünschte. In den Rheinlanden und besonders im Rheingau wird noch heute unter dem Namen des Johannistrunkes der freundliche Abschied getrunken. Mein stärkstes, letztes Hoch dem Johannissegen, dem treuen Wiedersehen! 1)

Das Trinken des Johannissegens ist nur die christliche Umwandlung und Umgestaltung der alten heidnischen Trankopfer, des Minne- oder Gedächtnisstrinkens der Götter, besonders Wuotans, Thôrs, Njörds, Freys und Freyjas. Auch gehört hierher der maurerische Gebrauch, dass an dem Feste Johannis des Täufers auf das Andenken aller abwesenden und wandernden Maurer der ganzen Erde ein Trunk mit einem dreifachen Hoch getrunken wird. Auch dieser maurerische Johannistrunk, Johannisminne, wovon sich selbst im deutschen Volksleben noch manche Spuren erhalten haben (Morgenblatt 1854, S. 688), ist heidnischen Ursprunges und die Tafellogen der Maurer an dem Feste Johannis des Evangelisten und des Täufers sind wohl überhaupt nur die Ueberreste der in diesen Zeiten einst üblichen heidnischen

1) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 249 ff.; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Thl. II. S. 268 und S. 593; Benecke, mittelhochdeutsches Wörterbuch, unter Minne und Segen; Ersch und Gruber, allgemeine Encyklopädie, Sect. II. Thl. XXII. S. 271; Simrok, deutsche Mythologie, S. 521.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0656" n="640"/>
wünsche ich die Liebe des Evangelisten, möchten ihr alle Brüder so
 unerschütterlich treu ergeben sein, als der Evangelist dem Herrn ergeben war. Meine Brüder alle,
 vergessen Sie niemals, dass der Evangelist, da es ihm wegen Altersschwäche nicht mehr möglich war,
 ausführlich zu der Gemeinde zu reden, &#x2013; sich dennoch stets in ihre Versammlungen tragen liess, und
 ihnen, so oft er kam, die Worte zurief: &#x201E;Kinder, liebet euch unter einander.&#x201C; Mein zweites Hoch dem
 Johannissegen, der Bruderliebe und Brudertreue!</p>
        <p> Wenn früher treue Freunde, wenn Brüder scheiden mussten, tranken sie vor dem Scheiden und vor
 dem Antritte der gefahrvollen Reise den letzten liebevollen Trunk, den Johannistrunk oder
 Johannissegen, womit man sich gegenseitig die Liebe und Treue des Evangelisten, das Wiedersehen mit
 dem alten Herzen anwünschte. In den Rheinlanden und besonders im Rheingau wird noch heute unter dem
 Namen des Johannistrunkes der freundliche Abschied getrunken. Mein stärkstes, letztes Hoch dem
 Johannissegen, dem treuen Wiedersehen! <note place="foot" n="1)">Quitzmann, die heidnische Religion
 der Baiwaren, S. 249 ff.; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Thl. II. S. 268 und S. 593; Benecke,
 mittelhochdeutsches Wörterbuch, unter Minne und Segen; Ersch und Gruber, allgemeine Encyklopädie,
 Sect. II. Thl. XXII. S. 271; Simrok, deutsche Mythologie, S. 521.</note></p>
        <p> Das Trinken des Johannissegens ist nur die christliche Umwandlung und Umgestaltung der alten
 heidnischen Trankopfer, des Minne- oder Gedächtnisstrinkens der Götter, besonders Wuotans, Thôrs,
 Njörds, Freys und Freyjas. Auch gehört hierher der maurerische Gebrauch, dass an dem Feste Johannis
 des Täufers auf das Andenken aller abwesenden und wandernden Maurer der ganzen Erde ein Trunk mit
 einem dreifachen Hoch getrunken wird. Auch dieser maurerische Johannistrunk, Johannisminne, wovon
 sich selbst im deutschen Volksleben noch manche Spuren erhalten haben (Morgenblatt 1854, S. 688),
 ist heidnischen Ursprunges und die Tafellogen der Maurer an dem Feste Johannis des Evangelisten und
 des Täufers sind wohl überhaupt nur die Ueberreste der in diesen Zeiten einst üblichen heidnischen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[640/0656] wünsche ich die Liebe des Evangelisten, möchten ihr alle Brüder so unerschütterlich treu ergeben sein, als der Evangelist dem Herrn ergeben war. Meine Brüder alle, vergessen Sie niemals, dass der Evangelist, da es ihm wegen Altersschwäche nicht mehr möglich war, ausführlich zu der Gemeinde zu reden, – sich dennoch stets in ihre Versammlungen tragen liess, und ihnen, so oft er kam, die Worte zurief: „Kinder, liebet euch unter einander.“ Mein zweites Hoch dem Johannissegen, der Bruderliebe und Brudertreue! Wenn früher treue Freunde, wenn Brüder scheiden mussten, tranken sie vor dem Scheiden und vor dem Antritte der gefahrvollen Reise den letzten liebevollen Trunk, den Johannistrunk oder Johannissegen, womit man sich gegenseitig die Liebe und Treue des Evangelisten, das Wiedersehen mit dem alten Herzen anwünschte. In den Rheinlanden und besonders im Rheingau wird noch heute unter dem Namen des Johannistrunkes der freundliche Abschied getrunken. Mein stärkstes, letztes Hoch dem Johannissegen, dem treuen Wiedersehen! 1) Das Trinken des Johannissegens ist nur die christliche Umwandlung und Umgestaltung der alten heidnischen Trankopfer, des Minne- oder Gedächtnisstrinkens der Götter, besonders Wuotans, Thôrs, Njörds, Freys und Freyjas. Auch gehört hierher der maurerische Gebrauch, dass an dem Feste Johannis des Täufers auf das Andenken aller abwesenden und wandernden Maurer der ganzen Erde ein Trunk mit einem dreifachen Hoch getrunken wird. Auch dieser maurerische Johannistrunk, Johannisminne, wovon sich selbst im deutschen Volksleben noch manche Spuren erhalten haben (Morgenblatt 1854, S. 688), ist heidnischen Ursprunges und die Tafellogen der Maurer an dem Feste Johannis des Evangelisten und des Täufers sind wohl überhaupt nur die Ueberreste der in diesen Zeiten einst üblichen heidnischen 1) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 249 ff.; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Thl. II. S. 268 und S. 593; Benecke, mittelhochdeutsches Wörterbuch, unter Minne und Segen; Ersch und Gruber, allgemeine Encyklopädie, Sect. II. Thl. XXII. S. 271; Simrok, deutsche Mythologie, S. 521.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-08-14T13:44:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-08-14T13:44:32Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate. (2013-08-14T13:44:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/656
Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei01_1861/656>, abgerufen am 21.11.2024.