Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863.gericht hier berührt werden möge. Das tapfere und, berühmte Geschlecht der Ritter von Matsch hatte die Sitte eingeführt, über jeden seiner Verstorbenen in der Franziskanerkirche zu Botzen ein Todtengericht halten zu lassen. Der Verstorbene wurde in die Kirche getragen, und bevor derselbe zur letzten Ruhe eingesegnet wurde, fand eine Leichenrede statt, in welcher der Geistliche offen und freimüthig je nach den Thaten des Verstorbenen Lob und Tadel auszusprechen hatte. Wer über Unrecht des Verstorbenen glaubte klagen zu sollen, vertraute es dem Geistlichen an, der es in seiner Rede anbrachte und oft den Erben Veranlassung gab, nach Kräften das Unrecht zu sühnen. So waren noch alle auf dem Stammschloss Verstorbenen leidlich in dem letzten Gerichte gerechtfertigt worden bis an den letzten des Stammes, welcher seine Unterthanen hart bedrückt hatte. Ihm die richtende Leichenrede haltend, erfasste den Geistlichen gleichsam ein höherer Geist, dass er mit donnernder Stimme verkündete, der Verstorbene sei ein gefühlloser Mensch, ein kalter Stein gewesen und werde es in alle Ewigkeit bleiben. Da die entsetzten Angehörigen den Sargdeckel aufhoben, lag an der Stelle des Leichnams - ein langer dunkler Stein. - Wir betrachten dieses in der Volkssage erscheinende Todtengericht zu Botzen, ital. Bolzano, als einen Ueberrest des heidnisch-römischen Glaubens und vielleicht des Isisdienstes, den die Römer auch hierher wie nach der Schweiz gebracht hatten. Ebenso sind dier im Mittelalter so häufigen und selbst auf Grabsteinen, z. B. zu Tournay,1) erscheinenden Darstellungen des jüngsten Gerichts blosse Umbildungen und Nachahmungen des ägyptischen Todtengerichtes, besonders auch auf Mumiensärgen. Zu Wettingen im Kanton Aargau stand z. B. ein Isistempel, den nach noch erhaltener Inschrift Lucius Annusius Magianus zu Ehren seiner Gemahlin Alpina Alpinuala und seiner Tochter Peregrina erbaut hatte.2) Das Todtengericht ist übrigens nur der irdische Anfang 1) Schnaase, VI. S. 562. 2) Vergl. Symbolik, II. S. 60 und S. 623.
gericht hier berührt werden möge. Das tapfere und, berühmte Geschlecht der Ritter von Matsch hatte die Sitte eingeführt, über jeden seiner Verstorbenen in der Franziskanerkirche zu Botzen ein Todtengericht halten zu lassen. Der Verstorbene wurde in die Kirche getragen, und bevor derselbe zur letzten Ruhe eingesegnet wurde, fand eine Leichenrede statt, in welcher der Geistliche offen und freimüthig je nach den Thaten des Verstorbenen Lob und Tadel auszusprechen hatte. Wer über Unrecht des Verstorbenen glaubte klagen zu sollen, vertraute es dem Geistlichen an, der es in seiner Rede anbrachte und oft den Erben Veranlassung gab, nach Kräften das Unrecht zu sühnen. So waren noch alle auf dem Stammschloss Verstorbenen leidlich in dem letzten Gerichte gerechtfertigt worden bis an den letzten des Stammes, welcher seine Unterthanen hart bedrückt hatte. Ihm die richtende Leichenrede haltend, erfasste den Geistlichen gleichsam ein höherer Geist, dass er mit donnernder Stimme verkündete, der Verstorbene sei ein gefühlloser Mensch, ein kalter Stein gewesen und werde es in alle Ewigkeit bleiben. Da die entsetzten Angehörigen den Sargdeckel aufhoben, lag an der Stelle des Leichnams – ein langer dunkler Stein. – Wir betrachten dieses in der Volkssage erscheinende Todtengericht zu Botzen, ital. Bolzano, als einen Ueberrest des heidnisch-römischen Glaubens und vielleicht des Isisdienstes, den die Römer auch hierher wie nach der Schweiz gebracht hatten. Ebenso sind dier im Mittelalter so häufigen und selbst auf Grabsteinen, z. B. zu Tournay,1) erscheinenden Darstellungen des jüngsten Gerichts blosse Umbildungen und Nachahmungen des ägyptischen Todtengerichtes, besonders auch auf Mumiensärgen. Zu Wettingen im Kanton Aargau stand z. B. ein Isistempel, den nach noch erhaltener Inschrift Lucius Annusius Magianus zu Ehren seiner Gemahlin Alpina Alpinuala und seiner Tochter Peregrina erbaut hatte.2) Das Todtengericht ist übrigens nur der irdische Anfang 1) Schnaase, VI. S. 562. 2) Vergl. Symbolik, II. S. 60 und S. 623.
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gericht hier berührt werden möge. Das tapfere und, berühmte Geschlecht der Ritter von Matsch hatte die Sitte eingeführt, über jeden seiner Verstorbenen in der Franziskanerkirche zu Botzen ein Todtengericht halten zu lassen. Der Verstorbene wurde in die Kirche getragen, und bevor derselbe zur letzten Ruhe eingesegnet wurde, fand eine Leichenrede statt, in welcher der Geistliche offen und freimüthig je nach den Thaten des Verstorbenen Lob und Tadel auszusprechen hatte. Wer über Unrecht des Verstorbenen glaubte klagen zu sollen, vertraute es dem Geistlichen an, der es in seiner Rede anbrachte und oft den Erben Veranlassung gab, nach Kräften das Unrecht zu sühnen. So waren noch alle auf dem Stammschloss Verstorbenen leidlich in dem letzten Gerichte gerechtfertigt worden bis an den letzten des Stammes, welcher seine Unterthanen hart bedrückt hatte. Ihm die richtende Leichenrede haltend, erfasste den Geistlichen gleichsam ein höherer Geist, dass er mit donnernder Stimme verkündete, der Verstorbene sei ein gefühlloser Mensch, ein kalter Stein gewesen und werde es in alle Ewigkeit bleiben. Da die entsetzten Angehörigen den Sargdeckel aufhoben, lag an der Stelle des Leichnams – ein langer dunkler Stein. – Wir betrachten dieses in der Volkssage erscheinende Todtengericht zu Botzen, ital. Bolzano, als einen Ueberrest des heidnisch-römischen Glaubens und vielleicht des Isisdienstes, den die Römer auch hierher wie nach der Schweiz gebracht hatten. Ebenso sind dier im Mittelalter so häufigen und selbst auf Grabsteinen, z. B. zu Tournay, 1) erscheinenden Darstellungen des jüngsten Gerichts blosse Umbildungen und Nachahmungen des ägyptischen Todtengerichtes, besonders auch auf Mumiensärgen. Zu Wettingen im Kanton Aargau stand z. B. ein Isistempel, den nach noch erhaltener Inschrift Lucius Annusius Magianus zu Ehren seiner Gemahlin Alpina Alpinuala und seiner Tochter Peregrina erbaut hatte. 2) Das Todtengericht ist übrigens nur der irdische Anfang
1) Schnaase, VI. S. 562.
2) Vergl. Symbolik, II. S. 60 und S. 623.
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Zitationshilfe: | Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863/678>, abgerufen am 25.06.2024. |