selbst übereinkommen. Um also den Zweck des Denkens zu erreichen, oder zur Erkenntniß der Wahrheit zu kommen, ist nöthig, daß ein Ge- genstand da sey, daß man in ihm Merkmale wahr- nehme, und zwar richtig wahrnehme, mithin ge- sunde Sinnen habe, und daß endlich der Verstand diese Wahrnehmungen richtig unter Begriffe brin- ge und mit einander vergleiche. Wo einer von diesen Bedingungen oder allen nicht Genüge geschieht, da denkt, urtheilt und schließt der Mensch nicht richtig; er wird getäuscht, ver- blendet, geirrt.
Den schwärmerischen Swedenborg täuschte seine Einbildungskraft, indem sie ihm Geister vorgaukelte, die der Nichtschwärmende für ein Nichts hält.
Der unglückliche Agathon, den ein wohlthä- tiger Traum zur richtigen Erkenntniß seiner selbst zurückbringen, und den kranken Zustand seiner Seele zeigen wollte, läßt sich von dem Feuer sei- ner leidenschaftlichen Liebe zur Danae verblenden, sein Herz für ruhig und seine Seele für gesund zu halten; so wie der Kranke das verzehrende Feuer des Fiebers auf seinen Wangen für die Röthe der Gesundheit hält.
Um die Begriffe, welche der Verstand in sich erzeugt, merken und festhalten, und um seine Gedanken und Empfindungen Andern mittheilen
zu
ſelbſt uͤbereinkommen. Um alſo den Zweck des Denkens zu erreichen, oder zur Erkenntniß der Wahrheit zu kommen, iſt noͤthig, daß ein Ge- genſtand da ſey, daß man in ihm Merkmale wahr- nehme, und zwar richtig wahrnehme, mithin ge- ſunde Sinnen habe, und daß endlich der Verſtand dieſe Wahrnehmungen richtig unter Begriffe brin- ge und mit einander vergleiche. Wo einer von dieſen Bedingungen oder allen nicht Genuͤge geſchieht, da denkt, urtheilt und ſchließt der Menſch nicht richtig; er wird getaͤuſcht, ver- blendet, geirrt.
Den ſchwaͤrmeriſchen Swedenborg taͤuſchte ſeine Einbildungskraft, indem ſie ihm Geiſter vorgaukelte, die der Nichtſchwaͤrmende fuͤr ein Nichts haͤlt.
Der ungluͤckliche Agathon, den ein wohlthaͤ- tiger Traum zur richtigen Erkenntniß ſeiner ſelbſt zuruͤckbringen, und den kranken Zuſtand ſeiner Seele zeigen wollte, laͤßt ſich von dem Feuer ſei- ner leidenſchaftlichen Liebe zur Danae verblenden, ſein Herz fuͤr ruhig und ſeine Seele fuͤr geſund zu halten; ſo wie der Kranke das verzehrende Feuer des Fiebers auf ſeinen Wangen fuͤr die Roͤthe der Geſundheit haͤlt.
Um die Begriffe, welche der Verſtand in ſich erzeugt, merken und feſthalten, und um ſeine Gedanken und Empfindungen Andern mittheilen
zu
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ſelbſt uͤbereinkommen. Um alſo den Zweck des
Denkens zu erreichen, oder zur Erkenntniß der
Wahrheit zu kommen, iſt noͤthig, daß ein Ge-
genſtand da ſey, daß man in ihm Merkmale wahr-
nehme, und zwar richtig wahrnehme, mithin ge-
ſunde Sinnen habe, und daß endlich der Verſtand
dieſe Wahrnehmungen richtig unter Begriffe brin-
ge und mit einander vergleiche. Wo einer
von dieſen Bedingungen oder allen nicht Genuͤge
geſchieht, da denkt, urtheilt und ſchließt der
Menſch nicht richtig; er wird getaͤuſcht, ver-
blendet, geirrt.
Den ſchwaͤrmeriſchen Swedenborg taͤuſchte
ſeine Einbildungskraft, indem ſie ihm Geiſter
vorgaukelte, die der Nichtſchwaͤrmende fuͤr ein
Nichts haͤlt.
Der ungluͤckliche Agathon, den ein wohlthaͤ-
tiger Traum zur richtigen Erkenntniß ſeiner ſelbſt
zuruͤckbringen, und den kranken Zuſtand ſeiner
Seele zeigen wollte, laͤßt ſich von dem Feuer ſei-
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ſein Herz fuͤr ruhig und ſeine Seele fuͤr geſund
zu halten; ſo wie der Kranke das verzehrende
Feuer des Fiebers auf ſeinen Wangen fuͤr die
Roͤthe der Geſundheit haͤlt.
Um die Begriffe, welche der Verſtand in ſich
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/167>, abgerufen am 16.02.2025.
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