man der Erzählung trauen darf, daß ein könig- licher Prinz aus Pontus sich vom Nero einen Pantomimen ausgebeten habe, um der Dollmet- scher entbehren zu können; und auf mehrere das anwendbar gewesen ist, was der cynische Philo- soph Demetrius beym Lucian zu einem solchen Ge- behrdenredner sagt: Jch höre, mein Freund, was du thust, und sehe es nicht nur; denn du scheinst mit den Händen selbst zu sprechen.
Auch itzt noch finden sich ganze Nationen und einzelne Menschen, welche durch Gebehrden einander ihre Jdeen und Empfindungen mitzuthei- len verstehen. Charlevoix in seiner Geschichte von Neu-Frankreich erzählt, daß die wilden Amerikaner durch allerley Gesticulationen, die unter dem Namen der Kriegstänze bekannt sind, einander einen ganzen Feldzug beschreiben. Der Tänzer, so erzählt er, stellt den Ausmarsch der Truppen, ihren Marsch, ihre Lagerungen vor; er recognoscirt, macht den Angriff, macht Halt, wie um Odem zu schöpfen; dann kommt er mit einmal in Wuth, daß man meynen sollte, er wollte alles ermorden. Jst dieser Paroxisinus vorüber, so ergreift er einen von der Versamm- lung, als wolle er ihn zum Gefangenen machen; stellt sich, als spalte er einem andern den Kopf, legt wieder einen dritten sein Schießgewehr an, und fängt endlich an zu laufen, so schnell als
er
K
man der Erzaͤhlung trauen darf, daß ein koͤnig- licher Prinz aus Pontus ſich vom Nero einen Pantomimen ausgebeten habe, um der Dollmet- ſcher entbehren zu koͤnnen; und auf mehrere das anwendbar geweſen iſt, was der cyniſche Philo- ſoph Demetrius beym Lucian zu einem ſolchen Ge- behrdenredner ſagt: Jch hoͤre, mein Freund, was du thuſt, und ſehe es nicht nur; denn du ſcheinſt mit den Haͤnden ſelbſt zu ſprechen.
Auch itzt noch finden ſich ganze Nationen und einzelne Menſchen, welche durch Gebehrden einander ihre Jdeen und Empfindungen mitzuthei- len verſtehen. Charlevoix in ſeiner Geſchichte von Neu-Frankreich erzaͤhlt, daß die wilden Amerikaner durch allerley Geſticulationen, die unter dem Namen der Kriegstaͤnze bekannt ſind, einander einen ganzen Feldzug beſchreiben. Der Taͤnzer, ſo erzaͤhlt er, ſtellt den Ausmarſch der Truppen, ihren Marſch, ihre Lagerungen vor; er recognoſcirt, macht den Angriff, macht Halt, wie um Odem zu ſchoͤpfen; dann kommt er mit einmal in Wuth, daß man meynen ſollte, er wollte alles ermorden. Jſt dieſer Paroxiſinus voruͤber, ſo ergreift er einen von der Verſamm- lung, als wolle er ihn zum Gefangenen machen; ſtellt ſich, als ſpalte er einem andern den Kopf, legt wieder einen dritten ſein Schießgewehr an, und faͤngt endlich an zu laufen, ſo ſchnell als
er
K
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0169"n="145"/>
man der Erzaͤhlung trauen darf, daß ein koͤnig-<lb/>
licher Prinz aus Pontus ſich vom Nero einen<lb/>
Pantomimen ausgebeten habe, um der Dollmet-<lb/>ſcher entbehren zu koͤnnen; und auf mehrere das<lb/>
anwendbar geweſen iſt, was der cyniſche Philo-<lb/>ſoph Demetrius beym Lucian zu einem ſolchen Ge-<lb/>
behrdenredner ſagt: Jch <hirendition="#b">hoͤre</hi>, mein Freund,<lb/>
was du thuſt, und ſehe es nicht nur; denn du<lb/>ſcheinſt mit den Haͤnden ſelbſt zu ſprechen.</p><lb/><p>Auch itzt noch finden ſich ganze Nationen<lb/>
und einzelne Menſchen, welche durch Gebehrden<lb/>
einander ihre Jdeen und Empfindungen mitzuthei-<lb/>
len verſtehen. <hirendition="#b">Charlevoix</hi> in ſeiner <hirendition="#b">Geſchichte<lb/>
von Neu-Frankreich</hi> erzaͤhlt, daß die wilden<lb/>
Amerikaner durch allerley Geſticulationen, die<lb/>
unter dem Namen der Kriegstaͤnze bekannt ſind,<lb/>
einander einen ganzen Feldzug beſchreiben. Der<lb/>
Taͤnzer, ſo erzaͤhlt er, ſtellt den Ausmarſch der<lb/>
Truppen, ihren Marſch, ihre Lagerungen vor;<lb/>
er recognoſcirt, macht den Angriff, macht Halt,<lb/>
wie um Odem zu ſchoͤpfen; dann kommt er mit<lb/>
einmal in Wuth, daß man meynen ſollte, er<lb/>
wollte alles ermorden. Jſt dieſer Paroxiſinus<lb/>
voruͤber, ſo ergreift er einen von der Verſamm-<lb/>
lung, als wolle er ihn zum Gefangenen machen;<lb/>ſtellt ſich, als ſpalte er einem andern den Kopf,<lb/>
legt wieder einen dritten ſein Schießgewehr an,<lb/>
und faͤngt endlich an zu laufen, ſo ſchnell als<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K</fw><fwplace="bottom"type="catch">er</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[145/0169]
man der Erzaͤhlung trauen darf, daß ein koͤnig-
licher Prinz aus Pontus ſich vom Nero einen
Pantomimen ausgebeten habe, um der Dollmet-
ſcher entbehren zu koͤnnen; und auf mehrere das
anwendbar geweſen iſt, was der cyniſche Philo-
ſoph Demetrius beym Lucian zu einem ſolchen Ge-
behrdenredner ſagt: Jch hoͤre, mein Freund,
was du thuſt, und ſehe es nicht nur; denn du
ſcheinſt mit den Haͤnden ſelbſt zu ſprechen.
Auch itzt noch finden ſich ganze Nationen
und einzelne Menſchen, welche durch Gebehrden
einander ihre Jdeen und Empfindungen mitzuthei-
len verſtehen. Charlevoix in ſeiner Geſchichte
von Neu-Frankreich erzaͤhlt, daß die wilden
Amerikaner durch allerley Geſticulationen, die
unter dem Namen der Kriegstaͤnze bekannt ſind,
einander einen ganzen Feldzug beſchreiben. Der
Taͤnzer, ſo erzaͤhlt er, ſtellt den Ausmarſch der
Truppen, ihren Marſch, ihre Lagerungen vor;
er recognoſcirt, macht den Angriff, macht Halt,
wie um Odem zu ſchoͤpfen; dann kommt er mit
einmal in Wuth, daß man meynen ſollte, er
wollte alles ermorden. Jſt dieſer Paroxiſinus
voruͤber, ſo ergreift er einen von der Verſamm-
lung, als wolle er ihn zum Gefangenen machen;
ſtellt ſich, als ſpalte er einem andern den Kopf,
legt wieder einen dritten ſein Schießgewehr an,
und faͤngt endlich an zu laufen, ſo ſchnell als
er
K
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/169>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.