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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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Beyspiele hievon. Am ersten verführen indeß
diejenigen Wissenschaften und Künste zur Schwär-
merey, welche das Herz durch die Hofnung der
Befriedigung irgend einer interessirenden Neigung
bethören, oder der Phantasie einen großen Spiel-
raum einräumen, auf welchen die Vernunft ihr
nicht nachfolgen kann. Zu allen Zeiten hat man
von Wahrsagern und Thoren, welche ihnen eifrig
folgten, gehört: denn die, welche zu gedankenlos
oder zu träge sind, etwas für die Zukunft zu
thun, wünschen doch sehnlichst, etwas von der-
selben zu wissen. Wem fällt nicht bey dem Vir-
gilischen "Auri sacra fames, quid non mortalia
pectora cogis
"*) das Heer von Goldmachern
ein, welche, anstatt sich durch die Aufklärung
ihres Verstandes sichre Mittel des Erwerbs zu
verschaffen, ihr Leben damit zubrachten, unsinni-
ge Formeln zu lernen, und nach unverständlichen
Recepten zu arbeiten, um Gold, das sie sich nicht
verdienen wollten, zu schaffen. Selbst die
Wissenschaft, welche den Zweck hat, alle Schwär-
merey zu vertilgen, die Philosophie hat ihre
Schwärmer gehabt, und hat sie noch itzt: zum
Theil vielleicht durch die Schuld ihrer Lehrer, wel-
che das wichtige Geschäft versäumt hatten, die
Grenzen zu bestimmen, innerhalb welchen die

Ver-
*) Verwünschter Hunger nach Gold, wozu zwingst
du sterbliche Herzen?
Q 3

Beyſpiele hievon. Am erſten verfuͤhren indeß
diejenigen Wiſſenſchaften und Kuͤnſte zur Schwaͤr-
merey, welche das Herz durch die Hofnung der
Befriedigung irgend einer intereſſirenden Neigung
bethoͤren, oder der Phantaſie einen großen Spiel-
raum einraͤumen, auf welchen die Vernunft ihr
nicht nachfolgen kann. Zu allen Zeiten hat man
von Wahrſagern und Thoren, welche ihnen eifrig
folgten, gehoͤrt: denn die, welche zu gedankenlos
oder zu traͤge ſind, etwas fuͤr die Zukunft zu
thun, wuͤnſchen doch ſehnlichſt, etwas von der-
ſelben zu wiſſen. Wem faͤllt nicht bey dem Vir-
giliſchen „Auri ſacra fames, quid non mortalia
pectora cogis
*) das Heer von Goldmachern
ein, welche, anſtatt ſich durch die Aufklaͤrung
ihres Verſtandes ſichre Mittel des Erwerbs zu
verſchaffen, ihr Leben damit zubrachten, unſinni-
ge Formeln zu lernen, und nach unverſtaͤndlichen
Recepten zu arbeiten, um Gold, das ſie ſich nicht
verdienen wollten, zu ſchaffen. Selbſt die
Wiſſenſchaft, welche den Zweck hat, alle Schwaͤr-
merey zu vertilgen, die Philoſophie hat ihre
Schwaͤrmer gehabt, und hat ſie noch itzt: zum
Theil vielleicht durch die Schuld ihrer Lehrer, wel-
che das wichtige Geſchaͤft verſaͤumt hatten, die
Grenzen zu beſtimmen, innerhalb welchen die

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*) Verwuͤnſchter Hunger nach Gold, wozu zwingſt
du ſterbliche Herzen?
Q 3
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[245/0269] Beyſpiele hievon. Am erſten verfuͤhren indeß diejenigen Wiſſenſchaften und Kuͤnſte zur Schwaͤr- merey, welche das Herz durch die Hofnung der Befriedigung irgend einer intereſſirenden Neigung bethoͤren, oder der Phantaſie einen großen Spiel- raum einraͤumen, auf welchen die Vernunft ihr nicht nachfolgen kann. Zu allen Zeiten hat man von Wahrſagern und Thoren, welche ihnen eifrig folgten, gehoͤrt: denn die, welche zu gedankenlos oder zu traͤge ſind, etwas fuͤr die Zukunft zu thun, wuͤnſchen doch ſehnlichſt, etwas von der- ſelben zu wiſſen. Wem faͤllt nicht bey dem Vir- giliſchen „Auri ſacra fames, quid non mortalia pectora cogis„ *) das Heer von Goldmachern ein, welche, anſtatt ſich durch die Aufklaͤrung ihres Verſtandes ſichre Mittel des Erwerbs zu verſchaffen, ihr Leben damit zubrachten, unſinni- ge Formeln zu lernen, und nach unverſtaͤndlichen Recepten zu arbeiten, um Gold, das ſie ſich nicht verdienen wollten, zu ſchaffen. Selbſt die Wiſſenſchaft, welche den Zweck hat, alle Schwaͤr- merey zu vertilgen, die Philoſophie hat ihre Schwaͤrmer gehabt, und hat ſie noch itzt: zum Theil vielleicht durch die Schuld ihrer Lehrer, wel- che das wichtige Geſchaͤft verſaͤumt hatten, die Grenzen zu beſtimmen, innerhalb welchen die Ver- *) Verwuͤnſchter Hunger nach Gold, wozu zwingſt du ſterbliche Herzen? Q 3

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/269>, abgerufen am 21.11.2024.