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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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um dieser herrlichen Wahrheit willen unverhört von
seinem Amt entsetzt, und ihm alles Predigen un-
tersagt hat. Herr König aber ist, wie ein Löwe,
der alles mit dem Schwerdte des Geistes verzehren
will, wie er denn vor der obrigkeitlichen Com-
mission ausdrücklich gesagt hat: Sie kreuzigten
Christum in seinen Gliedern, und das Blut und
die Thränen der Lämmer werden auf sie fallen.
Unter andern hat er auch gesagt: Wer dieses
herrliche tausendjährige Reich nicht glauben wolle,
der begehe die Sünde in den heiligen Geist: es
sey ihm daran gelegen, einst mit Christo auf dem
Thron zu sitzen, und seine Feinde vor sich zu
sehen."

Vernunft darf sich gegen Schwärmer dieser
Art nicht regen, weil sie klug genug sind, dieselbe
für die ärgste Feindin ihres Glaubens zu halten.
Sie kleben an den tödtenden Buchstaben, und
wollen bis aufs geringste von den gegenwärtigen
Menschen das noch beobachtet wissen, was für
die Menschenkinder galt.

Eine besondre Art der theologischen Schwär-
merey ist die apocalyptische, welche in der Bibel oder
andern alten Schriften, Erscheinungen, Träumen,
die Offenbarung zukünftiger Dinge zu finden glaub-
ten. Keine Schwärmerey macht so leicht ver-
rückt, als diese, wegen der großen Anstrengung,
die die Prophezeyungen erfordern, und der Ge-

wöh-

um dieſer herrlichen Wahrheit willen unverhoͤrt von
ſeinem Amt entſetzt, und ihm alles Predigen un-
terſagt hat. Herr Koͤnig aber iſt, wie ein Loͤwe,
der alles mit dem Schwerdte des Geiſtes verzehren
will, wie er denn vor der obrigkeitlichen Com-
miſſion ausdruͤcklich geſagt hat: Sie kreuzigten
Chriſtum in ſeinen Gliedern, und das Blut und
die Thraͤnen der Laͤmmer werden auf ſie fallen.
Unter andern hat er auch geſagt: Wer dieſes
herrliche tauſendjaͤhrige Reich nicht glauben wolle,
der begehe die Suͤnde in den heiligen Geiſt: es
ſey ihm daran gelegen, einſt mit Chriſto auf dem
Thron zu ſitzen, und ſeine Feinde vor ſich zu
ſehen.„

Vernunft darf ſich gegen Schwaͤrmer dieſer
Art nicht regen, weil ſie klug genug ſind, dieſelbe
fuͤr die aͤrgſte Feindin ihres Glaubens zu halten.
Sie kleben an den toͤdtenden Buchſtaben, und
wollen bis aufs geringſte von den gegenwaͤrtigen
Menſchen das noch beobachtet wiſſen, was fuͤr
die Menſchenkinder galt.

Eine beſondre Art der theologiſchen Schwaͤr-
merey iſt die apocalyptiſche, welche in der Bibel oder
andern alten Schriften, Erſcheinungen, Traͤumen,
die Offenbarung zukuͤnftiger Dinge zu finden glaub-
ten. Keine Schwaͤrmerey macht ſo leicht ver-
ruͤckt, als dieſe, wegen der großen Anſtrengung,
die die Prophezeyungen erfordern, und der Ge-

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[251/0275] um dieſer herrlichen Wahrheit willen unverhoͤrt von ſeinem Amt entſetzt, und ihm alles Predigen un- terſagt hat. Herr Koͤnig aber iſt, wie ein Loͤwe, der alles mit dem Schwerdte des Geiſtes verzehren will, wie er denn vor der obrigkeitlichen Com- miſſion ausdruͤcklich geſagt hat: Sie kreuzigten Chriſtum in ſeinen Gliedern, und das Blut und die Thraͤnen der Laͤmmer werden auf ſie fallen. Unter andern hat er auch geſagt: Wer dieſes herrliche tauſendjaͤhrige Reich nicht glauben wolle, der begehe die Suͤnde in den heiligen Geiſt: es ſey ihm daran gelegen, einſt mit Chriſto auf dem Thron zu ſitzen, und ſeine Feinde vor ſich zu ſehen.„ Vernunft darf ſich gegen Schwaͤrmer dieſer Art nicht regen, weil ſie klug genug ſind, dieſelbe fuͤr die aͤrgſte Feindin ihres Glaubens zu halten. Sie kleben an den toͤdtenden Buchſtaben, und wollen bis aufs geringſte von den gegenwaͤrtigen Menſchen das noch beobachtet wiſſen, was fuͤr die Menſchenkinder galt. Eine beſondre Art der theologiſchen Schwaͤr- merey iſt die apocalyptiſche, welche in der Bibel oder andern alten Schriften, Erſcheinungen, Traͤumen, die Offenbarung zukuͤnftiger Dinge zu finden glaub- ten. Keine Schwaͤrmerey macht ſo leicht ver- ruͤckt, als dieſe, wegen der großen Anſtrengung, die die Prophezeyungen erfordern, und der Ge- woͤh-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/275>, abgerufen am 21.11.2024.