Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm die Vernunft gebeut, er ist sich's doch be-
wußt, daß er es üben sollte. Nun kann Ver-
nunft sich selbst nicht widerstreiten. Sie gebeut
aber ebenfalls dem Menschen, sich das höchste
Gut zum Zweck zu machen; es muß daher auch
jenes Gesetz der Sittlichkeit hierauf sich beziehen,
zur Erlangung des höchsten Guts führen. Allein
in diesem Leben kann ichs nicht erlangen; wohl
das eine Jngredienz desselben, nemlich das Bewußt-
seyn einer dauerhaften Glückseligkeit würdig zu
seyn; aber noch nicht die dauerhafte Glückseligkeit
selbst.

Soll also das Gebot der Sittlichkeit vernünf-
tig seyn, wie es so überzeugend ist, so muß ich
auch nach diesem Leben ein andres hoffen, wo der
Gott der Tugend, Tugend und Glückseligkeit
in Uebereinstimmung und Verbindung bringen
wird. -- So wenig ich also meine Ueberzeu-
gung von der nothwendigen Verpflichtung zur Tu-
gend verlieren werde; so wenig darf ich auch
fürchten, daß der Glaube an Unsterblichkeit mir
je entrissen werden könne. --

Es ist mir, werthe Leser und Leserinnen, als
könnt' ich nun mit mehr Muth weiter gehn, da
ich nicht mehr fürchten darf, daß meine obige
Erklärung unsrer Unwissenheit über das Wesen
der Seele Sie mistrauisch gegen mich gemacht
habe: da ich aufs neue meine Ueberzeugung

von
A 3

ihm die Vernunft gebeut, er iſt ſich's doch be-
wußt, daß er es uͤben ſollte. Nun kann Ver-
nunft ſich ſelbſt nicht widerſtreiten. Sie gebeut
aber ebenfalls dem Menſchen, ſich das hoͤchſte
Gut zum Zweck zu machen; es muß daher auch
jenes Geſetz der Sittlichkeit hierauf ſich beziehen,
zur Erlangung des hoͤchſten Guts fuͤhren. Allein
in dieſem Leben kann ichs nicht erlangen; wohl
das eine Jngredienz deſſelben, nemlich das Bewußt-
ſeyn einer dauerhaften Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu
ſeyn; aber noch nicht die dauerhafte Gluͤckſeligkeit
ſelbſt.

Soll alſo das Gebot der Sittlichkeit vernuͤnf-
tig ſeyn, wie es ſo uͤberzeugend iſt, ſo muß ich
auch nach dieſem Leben ein andres hoffen, wo der
Gott der Tugend, Tugend und Gluͤckſeligkeit
in Uebereinſtimmung und Verbindung bringen
wird. — So wenig ich alſo meine Ueberzeu-
gung von der nothwendigen Verpflichtung zur Tu-
gend verlieren werde; ſo wenig darf ich auch
fuͤrchten, daß der Glaube an Unſterblichkeit mir
je entriſſen werden koͤnne. —

Es iſt mir, werthe Leſer und Leſerinnen, als
koͤnnt' ich nun mit mehr Muth weiter gehn, da
ich nicht mehr fuͤrchten darf, daß meine obige
Erklaͤrung unſrer Unwiſſenheit uͤber das Weſen
der Seele Sie mistrauiſch gegen mich gemacht
habe: da ich aufs neue meine Ueberzeugung

von
A 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="5"/>
ihm die Vernunft gebeut, er i&#x017F;t &#x017F;ich's doch be-<lb/>
wußt, daß er es u&#x0364;ben <hi rendition="#b">&#x017F;ollte</hi>. Nun kann Ver-<lb/>
nunft &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht wider&#x017F;treiten. Sie gebeut<lb/>
aber ebenfalls dem Men&#x017F;chen, &#x017F;ich das ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Gut zum Zweck zu machen; es muß daher auch<lb/>
jenes Ge&#x017F;etz der Sittlichkeit hierauf &#x017F;ich beziehen,<lb/>
zur Erlangung des ho&#x0364;ch&#x017F;ten Guts fu&#x0364;hren. Allein<lb/>
in <hi rendition="#b">die&#x017F;em</hi> Leben kann ichs nicht erlangen; wohl<lb/>
das eine Jngredienz de&#x017F;&#x017F;elben, nemlich das Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn einer dauerhaften Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit <hi rendition="#b">wu&#x0364;rdig</hi> zu<lb/>
&#x017F;eyn; aber noch nicht die dauerhafte Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Soll al&#x017F;o das Gebot der Sittlichkeit vernu&#x0364;nf-<lb/>
tig &#x017F;eyn, wie es &#x017F;o u&#x0364;berzeugend i&#x017F;t, &#x017F;o muß ich<lb/>
auch nach die&#x017F;em Leben ein andres hoffen, wo der<lb/>
Gott der Tugend, Tugend und Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
in Ueberein&#x017F;timmung und Verbindung bringen<lb/>
wird. &#x2014; So wenig ich al&#x017F;o meine Ueberzeu-<lb/>
gung von der nothwendigen Verpflichtung zur Tu-<lb/>
gend verlieren werde; &#x017F;o wenig darf ich auch<lb/>
fu&#x0364;rchten, daß der Glaube an Un&#x017F;terblichkeit mir<lb/>
je entri&#x017F;&#x017F;en werden ko&#x0364;nne. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t mir, werthe Le&#x017F;er und Le&#x017F;erinnen, als<lb/>
ko&#x0364;nnt' ich nun mit mehr Muth weiter gehn, da<lb/>
ich nicht mehr fu&#x0364;rchten darf, daß meine obige<lb/>
Erkla&#x0364;rung un&#x017F;rer Unwi&#x017F;&#x017F;enheit u&#x0364;ber das We&#x017F;en<lb/>
der Seele Sie mistraui&#x017F;ch gegen mich gemacht<lb/>
habe: da ich aufs neue meine Ueberzeugung<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 3</fw><fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[5/0029] ihm die Vernunft gebeut, er iſt ſich's doch be- wußt, daß er es uͤben ſollte. Nun kann Ver- nunft ſich ſelbſt nicht widerſtreiten. Sie gebeut aber ebenfalls dem Menſchen, ſich das hoͤchſte Gut zum Zweck zu machen; es muß daher auch jenes Geſetz der Sittlichkeit hierauf ſich beziehen, zur Erlangung des hoͤchſten Guts fuͤhren. Allein in dieſem Leben kann ichs nicht erlangen; wohl das eine Jngredienz deſſelben, nemlich das Bewußt- ſeyn einer dauerhaften Gluͤckſeligkeit wuͤrdig zu ſeyn; aber noch nicht die dauerhafte Gluͤckſeligkeit ſelbſt. Soll alſo das Gebot der Sittlichkeit vernuͤnf- tig ſeyn, wie es ſo uͤberzeugend iſt, ſo muß ich auch nach dieſem Leben ein andres hoffen, wo der Gott der Tugend, Tugend und Gluͤckſeligkeit in Uebereinſtimmung und Verbindung bringen wird. — So wenig ich alſo meine Ueberzeu- gung von der nothwendigen Verpflichtung zur Tu- gend verlieren werde; ſo wenig darf ich auch fuͤrchten, daß der Glaube an Unſterblichkeit mir je entriſſen werden koͤnne. — Es iſt mir, werthe Leſer und Leſerinnen, als koͤnnt' ich nun mit mehr Muth weiter gehn, da ich nicht mehr fuͤrchten darf, daß meine obige Erklaͤrung unſrer Unwiſſenheit uͤber das Weſen der Seele Sie mistrauiſch gegen mich gemacht habe: da ich aufs neue meine Ueberzeugung von A 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/29
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/29>, abgerufen am 21.11.2024.