Zweyte Unterhaltung. Von den Hauptvermögen der Seele.
Jch ging an einem heitern Winterabend durch die stillen Straßen meiner Vaterstadt am Arm meiner Freundin. Ein hellfunkelnder Stern zieht mein Auge an. Das ist, sagte meine Begleiterin, die Aehre der geflügelten Jungfrau, welche Jm festlichen Schmuck schwebt und Halm' in der Hand trägt und des Weines Laub. -- -- Jch dankte meiner Freundin für diese Vermehrung meiner Erkenntniß. Jch bin mit dem Dank nicht zufrieden, antwortete sie; Sie müssen er- wiedern. Jch habe Jhre Erkenntniß vermeh- ret, sagen Sie? So hab' ich auf etwas gewirkt, wovon ich den deutlichen Begriff von Jhnen hö- ren will. -- Was ist Erkenntniß, Freund? -- Jtzt wagte ich es wieder die Augen aufzuschlagen, welche mich das Andenken an Fontenelles Unter- redungen mit der Markise beschämt niederschla- gen hieß. So hat doch, erwiederte ich, die Lan- geweile, welche mich gestern im Schauspielhause zu L. überfiel, besser für mich gesorgt, als ich glaubte. Weil weder Schauspiel noch Schau-
spieler
B
Zweyte Unterhaltung. Von den Hauptvermoͤgen der Seele.
Jch ging an einem heitern Winterabend durch die ſtillen Straßen meiner Vaterſtadt am Arm meiner Freundin. Ein hellfunkelnder Stern zieht mein Auge an. Das iſt, ſagte meine Begleiterin, die Aehre der gefluͤgelten Jungfrau, welche Jm feſtlichen Schmuck ſchwebt und Halm' in der Hand traͤgt und des Weines Laub. — — Jch dankte meiner Freundin fuͤr dieſe Vermehrung meiner Erkenntniß. Jch bin mit dem Dank nicht zufrieden, antwortete ſie; Sie muͤſſen er- wiedern. Jch habe Jhre Erkenntniß vermeh- ret, ſagen Sie? So hab' ich auf etwas gewirkt, wovon ich den deutlichen Begriff von Jhnen hoͤ- ren will. — Was iſt Erkenntniß, Freund? — Jtzt wagte ich es wieder die Augen aufzuſchlagen, welche mich das Andenken an Fontenelles Unter- redungen mit der Markiſe beſchaͤmt niederſchla- gen hieß. So hat doch, erwiederte ich, die Lan- geweile, welche mich geſtern im Schauſpielhauſe zu L. uͤberfiel, beſſer fuͤr mich geſorgt, als ich glaubte. Weil weder Schauſpiel noch Schau-
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Zweyte Unterhaltung.
Von den
Hauptvermoͤgen der Seele.
Jch ging an einem heitern Winterabend durch
die ſtillen Straßen meiner Vaterſtadt am Arm
meiner Freundin. Ein hellfunkelnder Stern zieht
mein Auge an. Das iſt, ſagte meine Begleiterin,
die Aehre der gefluͤgelten Jungfrau, welche
Jm feſtlichen Schmuck ſchwebt und Halm' in
der Hand traͤgt
und des Weines Laub. — —
Jch dankte meiner Freundin fuͤr dieſe Vermehrung
meiner Erkenntniß. Jch bin mit dem Dank
nicht zufrieden, antwortete ſie; Sie muͤſſen er-
wiedern. Jch habe Jhre Erkenntniß vermeh-
ret, ſagen Sie? So hab' ich auf etwas gewirkt,
wovon ich den deutlichen Begriff von Jhnen hoͤ-
ren will. — Was iſt Erkenntniß, Freund? —
Jtzt wagte ich es wieder die Augen aufzuſchlagen,
welche mich das Andenken an Fontenelles Unter-
redungen mit der Markiſe beſchaͤmt niederſchla-
gen hieß. So hat doch, erwiederte ich, die Lan-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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