Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.Es hat also die Seele ein Vermögen, auch dem *) Jch brauche diese drey Worte völlig synonymisch -- da sie Bezeichnungen eines und desselben Gegenstan- des und nur als Worte verschiedner Sprachen ver- schieden sind. C 4
Es hat alſo die Seele ein Vermoͤgen, auch dem *) Jch brauche dieſe drey Worte voͤllig ſynonymiſch — da ſie Bezeichnungen eines und deſſelben Gegenſtan- des und nur als Worte verſchiedner Sprachen ver- ſchieden ſind. C 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0063" n="39"/> <p>Es hat alſo die Seele ein Vermoͤgen, auch<lb/> das, was ſie nicht als gegenwaͤrtig empfindet, ſich<lb/> vorzubilden, fuͤr die angenehme Empfindung<lb/> ein Aequivalent, fuͤr die unangenehme einen quaͤ-<lb/> lenden Schatten, ein Nichts im Etwas zu ge-<lb/> ben — das Vermoͤgen, etwas was nicht gegen-<lb/> waͤrtig iſt, in Seelenbildern zu <hi rendition="#b">repraͤſentiren</hi>.<lb/> Das iſt's, was man Einbildungskraft, Jma-<lb/> gination, Phantaſie heißt.<note place="foot" n="*)">Jch brauche dieſe drey Worte voͤllig ſynonymiſch —<lb/> da ſie Bezeichnungen eines und deſſelben Gegenſtan-<lb/> des und nur als Worte verſchiedner Sprachen ver-<lb/> ſchieden ſind.</note> Sie zeigt dem<lb/> Schwaͤrmer ſeine Chimaͤren, dem Traͤumenden<lb/> ſeine Geſichter, dem Wachenden ſeine gehabten<lb/> Empfindungen, oder das, was ſie aus ihnen zu-<lb/> ſammentrug. — Jhren Stoff nimmt ſie aus<lb/> der Empfindung. Wie koͤnnte ſich auch die Seele<lb/> ein Bild von einem Gegenſtande machen, der nie,<lb/> weder ganz noch nach den einzelnen Theilen, aus wel-<lb/> chen er zuſammengeſetzt iſt, von ihr wahrgenom-<lb/> men waͤre? Auch zu den Abbildungen der Ge-<lb/> genſtaͤnde, welche das Auge nie ſah und das Ohr<lb/> nicht hoͤrte, entlehnt ſie die Farben aus ihren Em-<lb/> pfindungen. Der Bewohner eines ebnen Landes<lb/> bildet die Vorſtellungen von den Alpen aus ſeinen<lb/> kleinen Huͤgeln: der Nachbar des Brockens aus<lb/> dieſem. Kriegeriſche Nationen erwarten auch nach<lb/> <fw place="bottom" type="sig">C 4</fw><fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0063]
Es hat alſo die Seele ein Vermoͤgen, auch
das, was ſie nicht als gegenwaͤrtig empfindet, ſich
vorzubilden, fuͤr die angenehme Empfindung
ein Aequivalent, fuͤr die unangenehme einen quaͤ-
lenden Schatten, ein Nichts im Etwas zu ge-
ben — das Vermoͤgen, etwas was nicht gegen-
waͤrtig iſt, in Seelenbildern zu repraͤſentiren.
Das iſt's, was man Einbildungskraft, Jma-
gination, Phantaſie heißt. *) Sie zeigt dem
Schwaͤrmer ſeine Chimaͤren, dem Traͤumenden
ſeine Geſichter, dem Wachenden ſeine gehabten
Empfindungen, oder das, was ſie aus ihnen zu-
ſammentrug. — Jhren Stoff nimmt ſie aus
der Empfindung. Wie koͤnnte ſich auch die Seele
ein Bild von einem Gegenſtande machen, der nie,
weder ganz noch nach den einzelnen Theilen, aus wel-
chen er zuſammengeſetzt iſt, von ihr wahrgenom-
men waͤre? Auch zu den Abbildungen der Ge-
genſtaͤnde, welche das Auge nie ſah und das Ohr
nicht hoͤrte, entlehnt ſie die Farben aus ihren Em-
pfindungen. Der Bewohner eines ebnen Landes
bildet die Vorſtellungen von den Alpen aus ſeinen
kleinen Huͤgeln: der Nachbar des Brockens aus
dieſem. Kriegeriſche Nationen erwarten auch nach
dem
*) Jch brauche dieſe drey Worte voͤllig ſynonymiſch —
da ſie Bezeichnungen eines und deſſelben Gegenſtan-
des und nur als Worte verſchiedner Sprachen ver-
ſchieden ſind.
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