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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

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hundert, es ist ein Jonathan, ein Pylades, ein
Damon.

Leicht, wie sein Blut durch die Adern rollt,
rollen die Vorstellungen vor seiner Seele vorüber:
nur die angenehmen hält er fest. Seine Nerven
sind reizbar, sein Gefühl ist gewaltig und über-
wischt die Bilder seiner Phantasie mit den grelle-
sten Farben. -- Er sieht noch nicht durch das
Mikroscop des verwickelten Jnteresse die mannig-
faltigen, verschiednen, entgegengesetzten Bezie-
hungen der Dinge: was die Seite derselben,
welche sein Auge grade trifft, ihm verheißt, nimmt
er zutraulich und leichtgläubig an, bis eine min-
der gefällige Seite seinen Blicken entgegenspringt,
er sich umwendet und durch das helle Fernrohr
seiner jugendlichen Munterkeit nach einer neuen
Freudenblume umherschaut. Nicht so der Mann.
Verstand und Erfahrung thun in ihm der Jma-
gination öfteren Einspruch; sein Körper ist weni-
ger reizbar; sein Blut nicht so feurig. Das Cen-
trum seiner Gedanken ist nicht, wie bey dem Jüng-
ling, das Vergnügen, sondern der Nutzen, der
vom Phantasiren nichts hält. Er läßt sich durch
die erste Ansicht der Dinge nicht täuschen, son-
dern beschaut alle Seiten derselben; und hascht
auf diese Weise zwar manche Freude weniger;
aber hält die ergriffenen fester: und wird auch auf
der andern Seite nicht so oft von Phantomen ge-

schreckt,

hundert, es iſt ein Jonathan, ein Pylades, ein
Damon.

Leicht, wie ſein Blut durch die Adern rollt,
rollen die Vorſtellungen vor ſeiner Seele voruͤber:
nur die angenehmen haͤlt er feſt. Seine Nerven
ſind reizbar, ſein Gefuͤhl iſt gewaltig und uͤber-
wiſcht die Bilder ſeiner Phantaſie mit den grelle-
ſten Farben. — Er ſieht noch nicht durch das
Mikroſcop des verwickelten Jntereſſe die mannig-
faltigen, verſchiednen, entgegengeſetzten Bezie-
hungen der Dinge: was die Seite derſelben,
welche ſein Auge grade trifft, ihm verheißt, nimmt
er zutraulich und leichtglaͤubig an, bis eine min-
der gefaͤllige Seite ſeinen Blicken entgegenſpringt,
er ſich umwendet und durch das helle Fernrohr
ſeiner jugendlichen Munterkeit nach einer neuen
Freudenblume umherſchaut. Nicht ſo der Mann.
Verſtand und Erfahrung thun in ihm der Jma-
gination oͤfteren Einſpruch; ſein Koͤrper iſt weni-
ger reizbar; ſein Blut nicht ſo feurig. Das Cen-
trum ſeiner Gedanken iſt nicht, wie bey dem Juͤng-
ling, das Vergnuͤgen, ſondern der Nutzen, der
vom Phantaſiren nichts haͤlt. Er laͤßt ſich durch
die erſte Anſicht der Dinge nicht taͤuſchen, ſon-
dern beſchaut alle Seiten derſelben; und haſcht
auf dieſe Weiſe zwar manche Freude weniger;
aber haͤlt die ergriffenen feſter: und wird auch auf
der andern Seite nicht ſo oft von Phantomen ge-

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[48/0072] hundert, es iſt ein Jonathan, ein Pylades, ein Damon. Leicht, wie ſein Blut durch die Adern rollt, rollen die Vorſtellungen vor ſeiner Seele voruͤber: nur die angenehmen haͤlt er feſt. Seine Nerven ſind reizbar, ſein Gefuͤhl iſt gewaltig und uͤber- wiſcht die Bilder ſeiner Phantaſie mit den grelle- ſten Farben. — Er ſieht noch nicht durch das Mikroſcop des verwickelten Jntereſſe die mannig- faltigen, verſchiednen, entgegengeſetzten Bezie- hungen der Dinge: was die Seite derſelben, welche ſein Auge grade trifft, ihm verheißt, nimmt er zutraulich und leichtglaͤubig an, bis eine min- der gefaͤllige Seite ſeinen Blicken entgegenſpringt, er ſich umwendet und durch das helle Fernrohr ſeiner jugendlichen Munterkeit nach einer neuen Freudenblume umherſchaut. Nicht ſo der Mann. Verſtand und Erfahrung thun in ihm der Jma- gination oͤfteren Einſpruch; ſein Koͤrper iſt weni- ger reizbar; ſein Blut nicht ſo feurig. Das Cen- trum ſeiner Gedanken iſt nicht, wie bey dem Juͤng- ling, das Vergnuͤgen, ſondern der Nutzen, der vom Phantaſiren nichts haͤlt. Er laͤßt ſich durch die erſte Anſicht der Dinge nicht taͤuſchen, ſon- dern beſchaut alle Seiten derſelben; und haſcht auf dieſe Weiſe zwar manche Freude weniger; aber haͤlt die ergriffenen feſter: und wird auch auf der andern Seite nicht ſo oft von Phantomen ge- ſchreckt,

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/72>, abgerufen am 21.11.2024.