artige Figuren aus dem Rauch seiner Tabacks- pfeife zu bilden.
Wenn aber durch andre Ursachen, als Regie- rungsform, Religion, Nahrung, besonders Ge- tränke, der Bewohner der heißen Zonen einmal zum Phantasiren angereizt wird; da wird er ganz Phantasie; denn sein Verstand hat nicht Kraft genug, sein Recht gegen dieselbe auszuüben und sie seinen Gesetzen zu unterwerfen. Er erschafft Ungeheuer und Carrikaturen, belebt Steine und Holz, und giebt allen Geschöpfen die Menschheit. Die Jndianer bilden sich Menschen mit doppelten Leibern und verdoppelten Gliedmaßen. Die Sia- mesen halten es für unrecht, den Saamen und Kern einer Frucht zu verzehren, weil sie in dem- selben eine lebendige Seele vermuthen; die Völ- ker der philippinischen Jnseln sehn in dem Croco- dil ihren Großvater und die Weiber einiger Stäm- me in Paraguay lassen mutterlose Menschenkin- der verhungern, um verlaßne Thiere mit ihren Brüsten zu nähren.
So wie in den gemäßigten Himmelsstrichen die Natur selber im Gleichgewicht ist; sind es auch die verschiednen Seelenvermögen der unter densel- ben wohnenden Menschen.
Unter Joniens mildem Himmel sang Ana- creon und mahlte Apelles -- nur auf attischem
Boden
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artige Figuren aus dem Rauch ſeiner Tabacks- pfeife zu bilden.
Wenn aber durch andre Urſachen, als Regie- rungsform, Religion, Nahrung, beſonders Ge- traͤnke, der Bewohner der heißen Zonen einmal zum Phantaſiren angereizt wird; da wird er ganz Phantaſie; denn ſein Verſtand hat nicht Kraft genug, ſein Recht gegen dieſelbe auszuuͤben und ſie ſeinen Geſetzen zu unterwerfen. Er erſchafft Ungeheuer und Carrikaturen, belebt Steine und Holz, und giebt allen Geſchoͤpfen die Menſchheit. Die Jndianer bilden ſich Menſchen mit doppelten Leibern und verdoppelten Gliedmaßen. Die Sia- meſen halten es fuͤr unrecht, den Saamen und Kern einer Frucht zu verzehren, weil ſie in dem- ſelben eine lebendige Seele vermuthen; die Voͤl- ker der philippiniſchen Jnſeln ſehn in dem Croco- dil ihren Großvater und die Weiber einiger Staͤm- me in Paraguay laſſen mutterloſe Menſchenkin- der verhungern, um verlaßne Thiere mit ihren Bruͤſten zu naͤhren.
So wie in den gemaͤßigten Himmelsſtrichen die Natur ſelber im Gleichgewicht iſt; ſind es auch die verſchiednen Seelenvermoͤgen der unter denſel- ben wohnenden Menſchen.
Unter Joniens mildem Himmel ſang Ana- creon und mahlte Apelles — nur auf attiſchem
Boden
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[53/0077]
artige Figuren aus dem Rauch ſeiner Tabacks-
pfeife zu bilden.
Wenn aber durch andre Urſachen, als Regie-
rungsform, Religion, Nahrung, beſonders Ge-
traͤnke, der Bewohner der heißen Zonen einmal
zum Phantaſiren angereizt wird; da wird er ganz
Phantaſie; denn ſein Verſtand hat nicht Kraft
genug, ſein Recht gegen dieſelbe auszuuͤben und
ſie ſeinen Geſetzen zu unterwerfen. Er erſchafft
Ungeheuer und Carrikaturen, belebt Steine und
Holz, und giebt allen Geſchoͤpfen die Menſchheit.
Die Jndianer bilden ſich Menſchen mit doppelten
Leibern und verdoppelten Gliedmaßen. Die Sia-
meſen halten es fuͤr unrecht, den Saamen und
Kern einer Frucht zu verzehren, weil ſie in dem-
ſelben eine lebendige Seele vermuthen; die Voͤl-
ker der philippiniſchen Jnſeln ſehn in dem Croco-
dil ihren Großvater und die Weiber einiger Staͤm-
me in Paraguay laſſen mutterloſe Menſchenkin-
der verhungern, um verlaßne Thiere mit ihren
Bruͤſten zu naͤhren.
So wie in den gemaͤßigten Himmelsſtrichen
die Natur ſelber im Gleichgewicht iſt; ſind es auch
die verſchiednen Seelenvermoͤgen der unter denſel-
ben wohnenden Menſchen.
Unter Joniens mildem Himmel ſang Ana-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/77>, abgerufen am 16.02.2025.
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