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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Einbildung dieser Art bethörte zu den Zeiten
des Verfalls des Römischen Geschmacks die Dich-
ter und Redner, welche die Mißgeburten ihres
Geistes den Meisterstücken eines Horaz und Vir-
gils
gleich, ja noch über dieselben setzten.

Einbildung dieser Art diktirte dem Schneider-
meister Johannes Scheere folgende Epistel an
seinen Patron:

Wie kümmerlich, trotz seiner Göttlichkeit,
Sich oft Genie hier unterm Monde nähre,
Beweisen uns die Kepler, die Homere,
Und hundert große Geister jeder Zeit,
Und jeder Erdenzone weit und breit:
Doch wahrlich nicht zu sonderlicher Ehre
Der undankbaren Menschlichkeit,
Die ihnen späte Dankaltäre
Und Opfer nach dem Tod' erst weiht.
Auch mir verlieh durch Scheere, Zwirn
und Nadel
Minerva Kunst und nicht gemeinen Adel.
Allem der Lohn für meine Treflichkeit
Jst Hungersnoth, ein Haderlumpenkleid,
Jst obenein der schwachen Seelen Tadel
Und dann einmal, nach Ablauf dürrer Zeit,
Des Namens Ruhm und Ewigkeit.
Allein was hilfts, wenn nach dem Tode,
Mich Leichenpredigt oder Ode
Den

Einbildung dieſer Art bethoͤrte zu den Zeiten
des Verfalls des Roͤmiſchen Geſchmacks die Dich-
ter und Redner, welche die Mißgeburten ihres
Geiſtes den Meiſterſtuͤcken eines Horaz und Vir-
gils
gleich, ja noch uͤber dieſelben ſetzten.

Einbildung dieſer Art diktirte dem Schneider-
meiſter Johannes Scheere folgende Epiſtel an
ſeinen Patron:

Wie kuͤmmerlich, trotz ſeiner Goͤttlichkeit,
Sich oft Genie hier unterm Monde naͤhre,
Beweiſen uns die Kepler, die Homere,
Und hundert große Geiſter jeder Zeit,
Und jeder Erdenzone weit und breit:
Doch wahrlich nicht zu ſonderlicher Ehre
Der undankbaren Menſchlichkeit,
Die ihnen ſpaͤte Dankaltaͤre
Und Opfer nach dem Tod' erſt weiht.
Auch mir verlieh durch Scheere, Zwirn
und Nadel
Minerva Kunſt und nicht gemeinen Adel.
Allem der Lohn fuͤr meine Treflichkeit
Jſt Hungersnoth, ein Haderlumpenkleid,
Jſt obenein der ſchwachen Seelen Tadel
Und dann einmal, nach Ablauf duͤrrer Zeit,
Des Namens Ruhm und Ewigkeit.
Allein was hilfts, wenn nach dem Tode,
Mich Leichenpredigt oder Ode
Den
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[404/0120] Einbildung dieſer Art bethoͤrte zu den Zeiten des Verfalls des Roͤmiſchen Geſchmacks die Dich- ter und Redner, welche die Mißgeburten ihres Geiſtes den Meiſterſtuͤcken eines Horaz und Vir- gils gleich, ja noch uͤber dieſelben ſetzten. Einbildung dieſer Art diktirte dem Schneider- meiſter Johannes Scheere folgende Epiſtel an ſeinen Patron: Wie kuͤmmerlich, trotz ſeiner Goͤttlichkeit, Sich oft Genie hier unterm Monde naͤhre, Beweiſen uns die Kepler, die Homere, Und hundert große Geiſter jeder Zeit, Und jeder Erdenzone weit und breit: Doch wahrlich nicht zu ſonderlicher Ehre Der undankbaren Menſchlichkeit, Die ihnen ſpaͤte Dankaltaͤre Und Opfer nach dem Tod' erſt weiht. Auch mir verlieh durch Scheere, Zwirn und Nadel Minerva Kunſt und nicht gemeinen Adel. Allem der Lohn fuͤr meine Treflichkeit Jſt Hungersnoth, ein Haderlumpenkleid, Jſt obenein der ſchwachen Seelen Tadel Und dann einmal, nach Ablauf duͤrrer Zeit, Des Namens Ruhm und Ewigkeit. Allein was hilfts, wenn nach dem Tode, Mich Leichenpredigt oder Ode Den

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/120>, abgerufen am 21.11.2024.