Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.Den größten aller Schneider nennt, Und ein vergoldet Marmor-Monument, An welchem Scheere, Zwirn und Nadel hangen Und Fingerhut und Bügeleisen prangen, Der späten Nachwelt dies bekennt? Wenn lebend mich mein Zeitgenosse Zu Stalle gleich dem edlen Rosse, Auf Stroh zu schlafen, von sich stößt, Und nackend gehn und hungern läßt? Die Einbildung erhält den Namen des lä- Jede Art von Einbildung setzt bedaurenswür- Ein- *) Nothgedrungne Epistel des berühmten Schneiders Johannes Scheere an seinen großgünstigen Mäcen, in Bürgers Gedichten. 2. S. 237. f. Cc 3
Den groͤßten aller Schneider nennt, Und ein vergoldet Marmor-Monument, An welchem Scheere, Zwirn und Nadel hangen Und Fingerhut und Buͤgeleiſen prangen, Der ſpaͤten Nachwelt dies bekennt? Wenn lebend mich mein Zeitgenoſſe Zu Stalle gleich dem edlen Roſſe, Auf Stroh zu ſchlafen, von ſich ſtoͤßt, Und nackend gehn und hungern laͤßt? Die Einbildung erhaͤlt den Namen des laͤ- Jede Art von Einbildung ſetzt bedaurenswuͤr- Ein- *) Nothgedrungne Epiſtel des beruͤhmten Schneiders Johannes Scheere an ſeinen großguͤnſtigen Maͤcen, in Buͤrgers Gedichten. 2. S. 237. f. Cc 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0121" n="405"/><lb/> <l>Den <hi rendition="#b">groͤßten</hi> aller <hi rendition="#b">Schneider</hi> nennt,</l><lb/> <l>Und ein <hi rendition="#b">vergoldet Marmor-Monument</hi>,</l><lb/> <l>An welchem <hi rendition="#b">Scheere, Zwirn</hi> und <hi rendition="#b">Nadel</hi></l><lb/> <l> <hi rendition="#et">hangen</hi> </l><lb/> <l>Und <hi rendition="#b">Fingerhut</hi> und <hi rendition="#b">Buͤgeleiſen prangen</hi>,</l><lb/> <l>Der ſpaͤten Nachwelt dies bekennt?</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Wenn lebend mich mein Zeitgenoſſe</hi> </l><lb/> <l>Zu Stalle gleich dem edlen Roſſe,</l><lb/> <l>Auf Stroh zu ſchlafen, von ſich ſtoͤßt,</l><lb/> <l>Und nackend gehn und hungern laͤßt?</l> </lg> <note place="foot" n="*)">Nothgedrungne Epiſtel des beruͤhmten Schneiders<lb/> Johannes Scheere an ſeinen großguͤnſtigen Maͤcen,<lb/> in Buͤrgers Gedichten. 2. S. 237. f.</note><lb/> <p>Die Einbildung erhaͤlt den Namen des <hi rendition="#b">laͤ-<lb/> cherlichen Stolzes</hi>, wenn man ſich einbildet,<lb/> eine Vollkommenheit zu beſitzen, wovon man gra-<lb/> de das Gegentheil hat. Ein Bucklichter, der da<lb/> meynt, ſeine ſchoͤne Figur bezaubre alle Herzen,<lb/> oder ein Ungeſchickter, der da glaubt, er ſey un-<lb/> ter die geſchickteſten Maͤnner zu zaͤhlen, ſind un-<lb/> ter die, welche am laͤcherlichen Stolze krank ſind,<lb/> zu rechnen.</p><lb/> <p>Jede Art von Einbildung ſetzt bedaurenswuͤr-<lb/> dige Dummheit und Einſeitigkeit des Verſtandes<lb/> voraus. Keine Bekanntſchaft mit ſich ſelbſt, kei-<lb/> ne richtige Kenntniß der Dinge, keine vernuͤnfti-<lb/> ge Schaͤtzung des Werths derſelben. Weil der<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Cc 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Ein-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [405/0121]
Den groͤßten aller Schneider nennt,
Und ein vergoldet Marmor-Monument,
An welchem Scheere, Zwirn und Nadel
hangen
Und Fingerhut und Buͤgeleiſen prangen,
Der ſpaͤten Nachwelt dies bekennt?
Wenn lebend mich mein Zeitgenoſſe
Zu Stalle gleich dem edlen Roſſe,
Auf Stroh zu ſchlafen, von ſich ſtoͤßt,
Und nackend gehn und hungern laͤßt?
*)
Die Einbildung erhaͤlt den Namen des laͤ-
cherlichen Stolzes, wenn man ſich einbildet,
eine Vollkommenheit zu beſitzen, wovon man gra-
de das Gegentheil hat. Ein Bucklichter, der da
meynt, ſeine ſchoͤne Figur bezaubre alle Herzen,
oder ein Ungeſchickter, der da glaubt, er ſey un-
ter die geſchickteſten Maͤnner zu zaͤhlen, ſind un-
ter die, welche am laͤcherlichen Stolze krank ſind,
zu rechnen.
Jede Art von Einbildung ſetzt bedaurenswuͤr-
dige Dummheit und Einſeitigkeit des Verſtandes
voraus. Keine Bekanntſchaft mit ſich ſelbſt, kei-
ne richtige Kenntniß der Dinge, keine vernuͤnfti-
ge Schaͤtzung des Werths derſelben. Weil der
Ein-
*) Nothgedrungne Epiſtel des beruͤhmten Schneiders
Johannes Scheere an ſeinen großguͤnſtigen Maͤcen,
in Buͤrgers Gedichten. 2. S. 237. f.
Cc 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |