Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite
Erste Unterhaltung.
Allgemeine Bemerkungen
über
das menschliche Herz.

Wenn irgend ein Gegenstand das Nachdenken
erregen und die Aufmerksamkeit festhalten
kann; so ist es gewiß der, welchen jeder Mensch
in seinem Busen fühlt, das Herz, aus welchem
Ruhe, Zufriedenheit, Glückseligkeit quillen, aber
auch Unruhe, Unzufriedenheit und Unglückselig-
keit hervorstürmen.

Das Herz ist der Punkt, in welchem die fei-
nen Fäden aller Neigungen und Gefühle des
Menschen ineinander geknüpft sind. Kein Mensch
mag es sich anmaßen, dies zarte und ineinander
fließende Gewebe ganz auseinander zu legen. --
Dies kann nur der Finger der Gottheit, dem nichts
zu fein und verflößt ist. Aber auch dem Men-
schen bietet es eine Fülle der fruchtbarsten Erkennt-
niß dar; denn, wenn sich gleich die feinsten Fä-
den seinem Auge verbergen, so nimmt er doch die
stärkern wahr, in welche sich jene verlieren, und
fühlt die Schwingungen, welche sie bis zum
Herzen fortpflanzen.

Das
T 5
Erſte Unterhaltung.
Allgemeine Bemerkungen
uͤber
das menſchliche Herz.

Wenn irgend ein Gegenſtand das Nachdenken
erregen und die Aufmerkſamkeit feſthalten
kann; ſo iſt es gewiß der, welchen jeder Menſch
in ſeinem Buſen fuͤhlt, das Herz, aus welchem
Ruhe, Zufriedenheit, Gluͤckſeligkeit quillen, aber
auch Unruhe, Unzufriedenheit und Ungluͤckſelig-
keit hervorſtuͤrmen.

Das Herz iſt der Punkt, in welchem die fei-
nen Faͤden aller Neigungen und Gefuͤhle des
Menſchen ineinander geknuͤpft ſind. Kein Menſch
mag es ſich anmaßen, dies zarte und ineinander
fließende Gewebe ganz auseinander zu legen. —
Dies kann nur der Finger der Gottheit, dem nichts
zu fein und verfloͤßt iſt. Aber auch dem Men-
ſchen bietet es eine Fuͤlle der fruchtbarſten Erkennt-
niß dar; denn, wenn ſich gleich die feinſten Faͤ-
den ſeinem Auge verbergen, ſo nimmt er doch die
ſtaͤrkern wahr, in welche ſich jene verlieren, und
fuͤhlt die Schwingungen, welche ſie bis zum
Herzen fortpflanzen.

Das
T 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0013"/>
      <div n="1">
        <head>Er&#x017F;te Unterhaltung.<lb/><hi rendition="#g">Allgemeine Bemerkungen</hi><lb/>
u&#x0364;ber<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">das men&#x017F;chliche Herz</hi>.</hi></head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>enn irgend ein Gegen&#x017F;tand das Nachdenken<lb/>
erregen und die Aufmerk&#x017F;amkeit fe&#x017F;thalten<lb/>
kann; &#x017F;o i&#x017F;t es gewiß der, welchen jeder Men&#x017F;ch<lb/>
in &#x017F;einem Bu&#x017F;en fu&#x0364;hlt, <hi rendition="#b">das Herz</hi>, aus welchem<lb/>
Ruhe, Zufriedenheit, Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit quillen, aber<lb/>
auch Unruhe, Unzufriedenheit und Unglu&#x0364;ck&#x017F;elig-<lb/>
keit hervor&#x017F;tu&#x0364;rmen.</p><lb/>
        <p>Das Herz i&#x017F;t der Punkt, in welchem die fei-<lb/>
nen Fa&#x0364;den aller Neigungen und Gefu&#x0364;hle des<lb/>
Men&#x017F;chen ineinander geknu&#x0364;pft &#x017F;ind. Kein Men&#x017F;ch<lb/>
mag es &#x017F;ich anmaßen, dies zarte und ineinander<lb/>
fließende Gewebe <hi rendition="#b">ganz</hi> auseinander zu legen. &#x2014;<lb/>
Dies kann nur der Finger der Gottheit, dem nichts<lb/>
zu fein und verflo&#x0364;ßt i&#x017F;t. Aber auch dem Men-<lb/>
&#x017F;chen bietet es eine Fu&#x0364;lle der fruchtbar&#x017F;ten Erkennt-<lb/>
niß dar; denn, wenn &#x017F;ich gleich die <hi rendition="#b">fein&#x017F;ten</hi> Fa&#x0364;-<lb/>
den &#x017F;einem Auge verbergen, &#x017F;o nimmt er doch die<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;rkern wahr, in welche &#x017F;ich jene verlieren, und<lb/>
fu&#x0364;hlt die Schwingungen, welche &#x017F;ie bis zum<lb/>
Herzen fortpflanzen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">T 5</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Erſte Unterhaltung. Allgemeine Bemerkungen uͤber das menſchliche Herz. Wenn irgend ein Gegenſtand das Nachdenken erregen und die Aufmerkſamkeit feſthalten kann; ſo iſt es gewiß der, welchen jeder Menſch in ſeinem Buſen fuͤhlt, das Herz, aus welchem Ruhe, Zufriedenheit, Gluͤckſeligkeit quillen, aber auch Unruhe, Unzufriedenheit und Ungluͤckſelig- keit hervorſtuͤrmen. Das Herz iſt der Punkt, in welchem die fei- nen Faͤden aller Neigungen und Gefuͤhle des Menſchen ineinander geknuͤpft ſind. Kein Menſch mag es ſich anmaßen, dies zarte und ineinander fließende Gewebe ganz auseinander zu legen. — Dies kann nur der Finger der Gottheit, dem nichts zu fein und verfloͤßt iſt. Aber auch dem Men- ſchen bietet es eine Fuͤlle der fruchtbarſten Erkennt- niß dar; denn, wenn ſich gleich die feinſten Faͤ- den ſeinem Auge verbergen, ſo nimmt er doch die ſtaͤrkern wahr, in welche ſich jene verlieren, und fuͤhlt die Schwingungen, welche ſie bis zum Herzen fortpflanzen. Das T 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/13
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/13>, abgerufen am 24.11.2024.