kannten Manne sieht oder hört; schwört auf des- sen Autorität, und vertheidigt selbst die Ungereimt- heiten desselben. Er kann es nicht ertragen, daß Andre, besonders die, mit denen er in einiger Verbindung steht oder gestanden hat, gelobt wer- den; wenigstens darf das Lob ihre Talente nicht betreffen. Gelehrsamkeit und ein gutes Gedächt- niß läßt er ihnen zur Noth beylegen, aber man schweige ja von Genie und Kopf; sonst wird man seinen Neid und seine Tadelsucht reizen. Wird jemand seiner Geschicklichkeit wegen belohnt und erhoben, so wundert er sich über die Laune des Glücks, den Dummen am besten fortzuheifen, und ärgert sich bis zum Bemerken stark über seine Dunkelheit und seiner Vorzüge Verkennung. Was Er nicht weiß, ist nichts werth, und ge- hört nur für gemeine Köpfe. Strengere und mühsamen Fleiß erfodernde Wissenschaften sind ihm Gedächtnißwerk, und gehören nur für me- chanische und sclavische Geister. Er sieht sich nur auf der Oberfläche der Erkenntnisse um, das heißt, er hat den allgemeinen Ueberblick: er schwatzt über Alles, das heißt ihm, er hat von Allem eine philosophische Uebersicht. Er will al- lein ein freyer Geist seyn, und ist gegen Andre in Sachen des Verstandes der ärgste Despot. Man gebe ja seine Behauptungen zu, sonst wird er -- nicht widerlegen -- sondern empfindlich und böse
werden.
kannten Manne ſieht oder hoͤrt; ſchwoͤrt auf deſ- ſen Autoritaͤt, und vertheidigt ſelbſt die Ungereimt- heiten deſſelben. Er kann es nicht ertragen, daß Andre, beſonders die, mit denen er in einiger Verbindung ſteht oder geſtanden hat, gelobt wer- den; wenigſtens darf das Lob ihre Talente nicht betreffen. Gelehrſamkeit und ein gutes Gedaͤcht- niß laͤßt er ihnen zur Noth beylegen, aber man ſchweige ja von Genie und Kopf; ſonſt wird man ſeinen Neid und ſeine Tadelſucht reizen. Wird jemand ſeiner Geſchicklichkeit wegen belohnt und erhoben, ſo wundert er ſich uͤber die Laune des Gluͤcks, den Dummen am beſten fortzuheifen, und aͤrgert ſich bis zum Bemerken ſtark uͤber ſeine Dunkelheit und ſeiner Vorzuͤge Verkennung. Was Er nicht weiß, iſt nichts werth, und ge- hoͤrt nur fuͤr gemeine Koͤpfe. Strengere und muͤhſamen Fleiß erfodernde Wiſſenſchaften ſind ihm Gedaͤchtnißwerk, und gehoͤren nur fuͤr me- chaniſche und ſclaviſche Geiſter. Er ſieht ſich nur auf der Oberflaͤche der Erkenntniſſe um, das heißt, er hat den allgemeinen Ueberblick: er ſchwatzt uͤber Alles, das heißt ihm, er hat von Allem eine philoſophiſche Ueberſicht. Er will al- lein ein freyer Geiſt ſeyn, und iſt gegen Andre in Sachen des Verſtandes der aͤrgſte Deſpot. Man gebe ja ſeine Behauptungen zu, ſonſt wird er — nicht widerlegen — ſondern empfindlich und boͤſe
werden.
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kannten Manne ſieht oder hoͤrt; ſchwoͤrt auf deſ-
ſen Autoritaͤt, und vertheidigt ſelbſt die Ungereimt-
heiten deſſelben. Er kann es nicht ertragen, daß
Andre, beſonders die, mit denen er in einiger
Verbindung ſteht oder geſtanden hat, gelobt wer-
den; wenigſtens darf das Lob ihre Talente nicht
betreffen. Gelehrſamkeit und ein gutes Gedaͤcht-
niß laͤßt er ihnen zur Noth beylegen, aber man
ſchweige ja von Genie und Kopf; ſonſt wird man
ſeinen Neid und ſeine Tadelſucht reizen. Wird
jemand ſeiner Geſchicklichkeit wegen belohnt und
erhoben, ſo wundert er ſich uͤber die Laune des
Gluͤcks, den Dummen am beſten fortzuheifen, und
aͤrgert ſich bis zum Bemerken ſtark uͤber ſeine
Dunkelheit und ſeiner Vorzuͤge Verkennung.
Was Er nicht weiß, iſt nichts werth, und ge-
hoͤrt nur fuͤr gemeine Koͤpfe. Strengere und
muͤhſamen Fleiß erfodernde Wiſſenſchaften ſind
ihm Gedaͤchtnißwerk, und gehoͤren nur fuͤr me-
chaniſche und ſclaviſche Geiſter. Er ſieht ſich
nur auf der Oberflaͤche der Erkenntniſſe um, das
heißt, er hat den allgemeinen Ueberblick: er
ſchwatzt uͤber Alles, das heißt ihm, er hat von
Allem eine philoſophiſche Ueberſicht. Er will al-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/150>, abgerufen am 21.11.2024.
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