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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Es ist auch nicht Einer, mit dem der Hoch-
müthige sich nicht messen zu können glaubte; und,
wenn er sich gleich gestehen muß, daß er in eini-
gen Stücken von irgend jemand übertroffen wird,
so weiß er doch in sich selbst so viel größere Vorzü-
ge aufzufinden, oder die des Andern so sehr zu
verkleinern, daß die Waagschaale zu seinem Vor-
theile sinkt. Keiner macht daher mehr Präten-
sionen, als Er: keiner ist suffisanter. Er sucht
nicht, sondern will von Andern gesucht seyn,
und glaubt, sehr viel zu thun, wenn er sich --
eine so wichtige Person -- finden läßt. Man
wird ihn daher sehr oft zurückgezogen und sprach-
los in der Gesellschaft stehen sehen; aber aus sei-
nen Minen und Gebehrden bald lesen, daß er
nicht durch Blödigkeit zurückgehalten wird.
Wenn ihn nicht etwa Furcht oder etwas Andres
zurückhält; so zeigt er deutlich in Betragen, Mi-
nen und Worten, daß er Andre verachte, we-
nigstens geringschätze*). Wer ihn zum ersten-

mal
*) Das Gebehrdenspiel des Hochmüthigen beschreibt
Engel sehr treffend in dem ersten Theil seiner Mi-
mik
im zwey und zwanzigsten Briefe, S. 177.
Das Spiel der Verachtung, sagt er, ist Selbster-
hebung des Stolzes; Wegdrehen des Körpers in
halbverwandter Stellung, flüchtig von der Höhe
herabgeworfener, oft nur seitwärts über die Achsel
hin-

Es iſt auch nicht Einer, mit dem der Hoch-
muͤthige ſich nicht meſſen zu koͤnnen glaubte; und,
wenn er ſich gleich geſtehen muß, daß er in eini-
gen Stuͤcken von irgend jemand uͤbertroffen wird,
ſo weiß er doch in ſich ſelbſt ſo viel groͤßere Vorzuͤ-
ge aufzufinden, oder die des Andern ſo ſehr zu
verkleinern, daß die Waagſchaale zu ſeinem Vor-
theile ſinkt. Keiner macht daher mehr Praͤten-
ſionen, als Er: keiner iſt ſuffiſanter. Er ſucht
nicht, ſondern will von Andern geſucht ſeyn,
und glaubt, ſehr viel zu thun, wenn er ſich —
eine ſo wichtige Perſon — finden laͤßt. Man
wird ihn daher ſehr oft zuruͤckgezogen und ſprach-
los in der Geſellſchaft ſtehen ſehen; aber aus ſei-
nen Minen und Gebehrden bald leſen, daß er
nicht durch Bloͤdigkeit zuruͤckgehalten wird.
Wenn ihn nicht etwa Furcht oder etwas Andres
zuruͤckhaͤlt; ſo zeigt er deutlich in Betragen, Mi-
nen und Worten, daß er Andre verachte, we-
nigſtens geringſchaͤtze*). Wer ihn zum erſten-

mal
*) Das Gebehrdenſpiel des Hochmuͤthigen beſchreibt
Engel ſehr treffend in dem erſten Theil ſeiner Mi-
mik
im zwey und zwanzigſten Briefe, S. 177.
Das Spiel der Verachtung, ſagt er, iſt Selbſter-
hebung des Stolzes; Wegdrehen des Koͤrpers in
halbverwandter Stellung, fluͤchtig von der Hoͤhe
herabgeworfener, oft nur ſeitwaͤrts uͤber die Achſel
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[450/0166] Es iſt auch nicht Einer, mit dem der Hoch- muͤthige ſich nicht meſſen zu koͤnnen glaubte; und, wenn er ſich gleich geſtehen muß, daß er in eini- gen Stuͤcken von irgend jemand uͤbertroffen wird, ſo weiß er doch in ſich ſelbſt ſo viel groͤßere Vorzuͤ- ge aufzufinden, oder die des Andern ſo ſehr zu verkleinern, daß die Waagſchaale zu ſeinem Vor- theile ſinkt. Keiner macht daher mehr Praͤten- ſionen, als Er: keiner iſt ſuffiſanter. Er ſucht nicht, ſondern will von Andern geſucht ſeyn, und glaubt, ſehr viel zu thun, wenn er ſich — eine ſo wichtige Perſon — finden laͤßt. Man wird ihn daher ſehr oft zuruͤckgezogen und ſprach- los in der Geſellſchaft ſtehen ſehen; aber aus ſei- nen Minen und Gebehrden bald leſen, daß er nicht durch Bloͤdigkeit zuruͤckgehalten wird. Wenn ihn nicht etwa Furcht oder etwas Andres zuruͤckhaͤlt; ſo zeigt er deutlich in Betragen, Mi- nen und Worten, daß er Andre verachte, we- nigſtens geringſchaͤtze *). Wer ihn zum erſten- mal *) Das Gebehrdenſpiel des Hochmuͤthigen beſchreibt Engel ſehr treffend in dem erſten Theil ſeiner Mi- mik im zwey und zwanzigſten Briefe, S. 177. Das Spiel der Verachtung, ſagt er, iſt Selbſter- hebung des Stolzes; Wegdrehen des Koͤrpers in halbverwandter Stellung, fluͤchtig von der Hoͤhe herabgeworfener, oft nur ſeitwaͤrts uͤber die Achſel hin-

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/166>, abgerufen am 21.11.2024.