Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

mal unter die Augen tritt, wird von seinen prü-
fenden Blicken gemessen; und muß sich gefallen
lassen, auf der gerümpften Nase, dem gehobnen
Auge und verzognen Munde das Urtheil zu lesen:
Auch Du gehörst zu dem großen Haufen derer,
über die Jch wegsehe. Auf eine genauere Un-
tersuchung, über den Werth eines Menschen, läßt
er sich nicht gern ein; weil es doch wohl möglich
seyn könnte, daß er auf etwas stieße, das seinen
Vorzügen gleich käme: seine Urtheile sind kurz:
sein Ton leichtsinnig und wegwerfend. Er ist
empfindlich, wie ein Weib, und zornig, wie ein
Kind, wenn man im geringsten gegen die Ehrer-
bietung, welche er fodert, verstößt. Er kann
nicht bitten; denn er will den Schein haben, sich
selbst genug zu seyn und keines Menschen zu be-

dürfen.
hinschielender Blick, als ob der Gegenstand keiner
nähern, sorgfältigern Betrachtung würdig wäre,
zuweilen auch Ausdruck des Ekels durch gerümpfte
Nase mit etwas in die Höhe gezogner Oberlippe;
und wenn der Verachtete von sich selbst einen vor-
theilhaften Blick zu haben, unserm Urtheil zu tro-
tzen scheint, höhnisches Ausmessen mit dem Auge,
indem sich das Haupt ein wenig zur Seite neigt,
als ob man Mühe hätte, die ganze Niedrigkeit des
Menschen von seiner Höhe herab gewahr zu wer-
den; mitleidiges, spöttisches Achselzucken und stilles
Lächeln über den wahrgenommenen Kontrast zwi-
schen eingebildeter Größe und wirklicher Kleinheit."
Ff 2

mal unter die Augen tritt, wird von ſeinen pruͤ-
fenden Blicken gemeſſen; und muß ſich gefallen
laſſen, auf der geruͤmpften Naſe, dem gehobnen
Auge und verzognen Munde das Urtheil zu leſen:
Auch Du gehoͤrſt zu dem großen Haufen derer,
uͤber die Jch wegſehe. Auf eine genauere Un-
terſuchung, uͤber den Werth eines Menſchen, laͤßt
er ſich nicht gern ein; weil es doch wohl moͤglich
ſeyn koͤnnte, daß er auf etwas ſtieße, das ſeinen
Vorzuͤgen gleich kaͤme: ſeine Urtheile ſind kurz:
ſein Ton leichtſinnig und wegwerfend. Er iſt
empfindlich, wie ein Weib, und zornig, wie ein
Kind, wenn man im geringſten gegen die Ehrer-
bietung, welche er fodert, verſtoͤßt. Er kann
nicht bitten; denn er will den Schein haben, ſich
ſelbſt genug zu ſeyn und keines Menſchen zu be-

duͤrfen.
hinſchielender Blick, als ob der Gegenſtand keiner
naͤhern, ſorgfaͤltigern Betrachtung wuͤrdig waͤre,
zuweilen auch Ausdruck des Ekels durch geruͤmpfte
Naſe mit etwas in die Hoͤhe gezogner Oberlippe;
und wenn der Verachtete von ſich ſelbſt einen vor-
theilhaften Blick zu haben, unſerm Urtheil zu tro-
tzen ſcheint, hoͤhniſches Ausmeſſen mit dem Auge,
indem ſich das Haupt ein wenig zur Seite neigt,
als ob man Muͤhe haͤtte, die ganze Niedrigkeit des
Menſchen von ſeiner Hoͤhe herab gewahr zu wer-
den; mitleidiges, ſpoͤttiſches Achſelzucken und ſtilles
Laͤcheln uͤber den wahrgenommenen Kontraſt zwi-
ſchen eingebildeter Groͤße und wirklicher Kleinheit.„
Ff 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0167" n="451"/>
mal unter die Augen tritt, wird von &#x017F;einen pru&#x0364;-<lb/>
fenden Blicken geme&#x017F;&#x017F;en; und muß &#x017F;ich gefallen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, auf der geru&#x0364;mpften Na&#x017F;e, dem gehobnen<lb/>
Auge und verzognen Munde das Urtheil zu le&#x017F;en:<lb/>
Auch Du geho&#x0364;r&#x017F;t zu dem großen Haufen derer,<lb/>
u&#x0364;ber die <hi rendition="#b">Jch</hi> weg&#x017F;ehe. Auf eine genauere Un-<lb/>
ter&#x017F;uchung, u&#x0364;ber den Werth eines Men&#x017F;chen, la&#x0364;ßt<lb/>
er &#x017F;ich nicht gern ein; weil es doch wohl mo&#x0364;glich<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnte, daß er auf etwas &#x017F;tieße, das &#x017F;einen<lb/>
Vorzu&#x0364;gen gleich ka&#x0364;me: &#x017F;eine Urtheile &#x017F;ind kurz:<lb/>
&#x017F;ein Ton leicht&#x017F;innig und wegwerfend. Er i&#x017F;t<lb/>
empfindlich, wie ein Weib, und zornig, wie ein<lb/>
Kind, wenn man im gering&#x017F;ten gegen die Ehrer-<lb/>
bietung, welche er fodert, ver&#x017F;to&#x0364;ßt. Er kann<lb/>
nicht bitten; denn er will den Schein haben, &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t genug zu &#x017F;eyn und keines Men&#x017F;chen zu be-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ff 2</fw><fw place="bottom" type="catch">du&#x0364;rfen.</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_14_2" prev="#seg2pn_14_1" place="foot" n="*)">hin&#x017F;chielender Blick, als ob der Gegen&#x017F;tand keiner<lb/>
na&#x0364;hern, &#x017F;orgfa&#x0364;ltigern Betrachtung wu&#x0364;rdig wa&#x0364;re,<lb/>
zuweilen auch Ausdruck des Ekels durch geru&#x0364;mpfte<lb/>
Na&#x017F;e mit etwas in die Ho&#x0364;he gezogner Oberlippe;<lb/>
und wenn der Verachtete von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t einen vor-<lb/>
theilhaften Blick zu haben, un&#x017F;erm Urtheil zu tro-<lb/>
tzen &#x017F;cheint, ho&#x0364;hni&#x017F;ches Ausme&#x017F;&#x017F;en mit dem Auge,<lb/>
indem &#x017F;ich das Haupt ein wenig zur Seite neigt,<lb/>
als ob man Mu&#x0364;he ha&#x0364;tte, die ganze Niedrigkeit des<lb/>
Men&#x017F;chen von &#x017F;einer Ho&#x0364;he herab gewahr zu wer-<lb/>
den; mitleidiges, &#x017F;po&#x0364;tti&#x017F;ches Ach&#x017F;elzucken und &#x017F;tilles<lb/>
La&#x0364;cheln u&#x0364;ber den wahrgenommenen Kontra&#x017F;t zwi-<lb/>
&#x017F;chen eingebildeter Gro&#x0364;ße und wirklicher Kleinheit.&#x201E;</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[451/0167] mal unter die Augen tritt, wird von ſeinen pruͤ- fenden Blicken gemeſſen; und muß ſich gefallen laſſen, auf der geruͤmpften Naſe, dem gehobnen Auge und verzognen Munde das Urtheil zu leſen: Auch Du gehoͤrſt zu dem großen Haufen derer, uͤber die Jch wegſehe. Auf eine genauere Un- terſuchung, uͤber den Werth eines Menſchen, laͤßt er ſich nicht gern ein; weil es doch wohl moͤglich ſeyn koͤnnte, daß er auf etwas ſtieße, das ſeinen Vorzuͤgen gleich kaͤme: ſeine Urtheile ſind kurz: ſein Ton leichtſinnig und wegwerfend. Er iſt empfindlich, wie ein Weib, und zornig, wie ein Kind, wenn man im geringſten gegen die Ehrer- bietung, welche er fodert, verſtoͤßt. Er kann nicht bitten; denn er will den Schein haben, ſich ſelbſt genug zu ſeyn und keines Menſchen zu be- duͤrfen. *) *) hinſchielender Blick, als ob der Gegenſtand keiner naͤhern, ſorgfaͤltigern Betrachtung wuͤrdig waͤre, zuweilen auch Ausdruck des Ekels durch geruͤmpfte Naſe mit etwas in die Hoͤhe gezogner Oberlippe; und wenn der Verachtete von ſich ſelbſt einen vor- theilhaften Blick zu haben, unſerm Urtheil zu tro- tzen ſcheint, hoͤhniſches Ausmeſſen mit dem Auge, indem ſich das Haupt ein wenig zur Seite neigt, als ob man Muͤhe haͤtte, die ganze Niedrigkeit des Menſchen von ſeiner Hoͤhe herab gewahr zu wer- den; mitleidiges, ſpoͤttiſches Achſelzucken und ſtilles Laͤcheln uͤber den wahrgenommenen Kontraſt zwi- ſchen eingebildeter Groͤße und wirklicher Kleinheit.„ Ff 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/167
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/167>, abgerufen am 21.11.2024.