Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


große Cäsar auf seiner Reise nach Gallien in ei-
ner kleinen Stadt, hier der Erste, als der
Zweyte in Rom seyn:" und Cato nimmt sich
das Leben, um Cäsars Gnade nicht zu bedürfen.

Menschen, welche sich selbst nicht kennen,
für Menschenwerth kein Gefühl, und die Mey-
nung haben, daß jedermann durch so kleine Trieb-
federn, als sie, bestimmt werde, machen mit
dem wahrhaft großen Mann gleiche Prätensionen.
Ein Unglück für Andre, wenn sie mit solchen in
einem Verhältnisse stehen, welches sie nöthigt, um
die Gunst derselben zu werben: denn sie sind nicht
klug genug, Andre nach ihrem Willen durch
Vorstellungen zu leiten; drum despotisiren sie;
sie sind nicht fein genug, ihrem Herrschtriebe Ge-
nüge zu thun, ohne Andrer Ehrliebe zu kränken;
drum muß der, welcher ihrer bedarf, unter ihren
groben Befehlen seufzen.

So wie die Ehrliebe auch aus dem Verlan-
gen nach andern Vortheilen, zu deren Besitz die
Ehre verhilft, entspringen kann; so auch die Be-
gierde zu herrschen. Wer, in größern oder klei-
nern Kreisen, der Erste ist, kann darauf rech-
nen, daß Andre, um sich seine Gunst zu verschaf-
fen, gegen ihn gefällig sind, seine Neigungen zu
befriedigen suchen, und seinen Wünschen zuvor-
kommen. Er erhält mit der Herrschaft zugleich

mehr
Gg


große Caͤſar auf ſeiner Reiſe nach Gallien in ei-
ner kleinen Stadt, hier der Erſte, als der
Zweyte in Rom ſeyn:„ und Cato nimmt ſich
das Leben, um Caͤſars Gnade nicht zu beduͤrfen.

Menſchen, welche ſich ſelbſt nicht kennen,
fuͤr Menſchenwerth kein Gefuͤhl, und die Mey-
nung haben, daß jedermann durch ſo kleine Trieb-
federn, als ſie, beſtimmt werde, machen mit
dem wahrhaft großen Mann gleiche Praͤtenſionen.
Ein Ungluͤck fuͤr Andre, wenn ſie mit ſolchen in
einem Verhaͤltniſſe ſtehen, welches ſie noͤthigt, um
die Gunſt derſelben zu werben: denn ſie ſind nicht
klug genug, Andre nach ihrem Willen durch
Vorſtellungen zu leiten; drum deſpotiſiren ſie;
ſie ſind nicht fein genug, ihrem Herrſchtriebe Ge-
nuͤge zu thun, ohne Andrer Ehrliebe zu kraͤnken;
drum muß der, welcher ihrer bedarf, unter ihren
groben Befehlen ſeufzen.

So wie die Ehrliebe auch aus dem Verlan-
gen nach andern Vortheilen, zu deren Beſitz die
Ehre verhilft, entſpringen kann; ſo auch die Be-
gierde zu herrſchen. Wer, in groͤßern oder klei-
nern Kreiſen, der Erſte iſt, kann darauf rech-
nen, daß Andre, um ſich ſeine Gunſt zu verſchaf-
fen, gegen ihn gefaͤllig ſind, ſeine Neigungen zu
befriedigen ſuchen, und ſeinen Wuͤnſchen zuvor-
kommen. Er erhaͤlt mit der Herrſchaft zugleich

mehr
Gg
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0181" n="465"/><lb/>
große <hi rendition="#b">Ca&#x0364;&#x017F;ar</hi> auf &#x017F;einer Rei&#x017F;e nach <hi rendition="#b">Gallien</hi> in ei-<lb/>
ner kleinen Stadt, <hi rendition="#b">hier</hi> der <hi rendition="#b">Er&#x017F;te</hi>, als der<lb/><hi rendition="#b">Zweyte</hi> in <hi rendition="#b">Rom</hi> &#x017F;eyn:&#x201E; und <hi rendition="#b">Cato</hi> nimmt &#x017F;ich<lb/>
das Leben, um <hi rendition="#b">Ca&#x0364;&#x017F;ars</hi> Gnade nicht zu bedu&#x0364;rfen.</p><lb/>
        <p>Men&#x017F;chen, welche &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht kennen,<lb/>
fu&#x0364;r Men&#x017F;chenwerth kein Gefu&#x0364;hl, und die Mey-<lb/>
nung haben, daß jedermann durch &#x017F;o kleine Trieb-<lb/>
federn, als &#x017F;ie, be&#x017F;timmt werde, machen mit<lb/>
dem wahrhaft großen Mann gleiche Pra&#x0364;ten&#x017F;ionen.<lb/>
Ein Unglu&#x0364;ck fu&#x0364;r Andre, wenn &#x017F;ie mit &#x017F;olchen in<lb/>
einem Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;tehen, welches &#x017F;ie no&#x0364;thigt, um<lb/>
die Gun&#x017F;t der&#x017F;elben zu werben: denn &#x017F;ie &#x017F;ind nicht<lb/>
klug genug, Andre nach ihrem Willen durch<lb/><hi rendition="#b">Vor&#x017F;tellungen</hi> zu <hi rendition="#b">leiten</hi>; drum de&#x017F;poti&#x017F;iren &#x017F;ie;<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind nicht <hi rendition="#b">fein</hi> genug, ihrem Herr&#x017F;chtriebe Ge-<lb/>
nu&#x0364;ge zu thun, ohne Andrer Ehrliebe zu kra&#x0364;nken;<lb/>
drum muß der, welcher ihrer bedarf, unter ihren<lb/><hi rendition="#b">groben</hi> Befehlen &#x017F;eufzen.</p><lb/>
        <p>So wie die Ehrliebe auch aus dem Verlan-<lb/>
gen nach andern Vortheilen, zu deren Be&#x017F;itz die<lb/>
Ehre verhilft, ent&#x017F;pringen kann; &#x017F;o auch die Be-<lb/>
gierde zu herr&#x017F;chen. Wer, in gro&#x0364;ßern oder klei-<lb/>
nern Krei&#x017F;en, der Er&#x017F;te i&#x017F;t, kann darauf rech-<lb/>
nen, daß Andre, um &#x017F;ich &#x017F;eine Gun&#x017F;t zu ver&#x017F;chaf-<lb/>
fen, gegen ihn gefa&#x0364;llig &#x017F;ind, &#x017F;eine Neigungen zu<lb/>
befriedigen &#x017F;uchen, und &#x017F;einen Wu&#x0364;n&#x017F;chen zuvor-<lb/>
kommen. Er erha&#x0364;lt mit der Herr&#x017F;chaft zugleich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Gg</fw><fw place="bottom" type="catch">mehr</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0181] große Caͤſar auf ſeiner Reiſe nach Gallien in ei- ner kleinen Stadt, hier der Erſte, als der Zweyte in Rom ſeyn:„ und Cato nimmt ſich das Leben, um Caͤſars Gnade nicht zu beduͤrfen. Menſchen, welche ſich ſelbſt nicht kennen, fuͤr Menſchenwerth kein Gefuͤhl, und die Mey- nung haben, daß jedermann durch ſo kleine Trieb- federn, als ſie, beſtimmt werde, machen mit dem wahrhaft großen Mann gleiche Praͤtenſionen. Ein Ungluͤck fuͤr Andre, wenn ſie mit ſolchen in einem Verhaͤltniſſe ſtehen, welches ſie noͤthigt, um die Gunſt derſelben zu werben: denn ſie ſind nicht klug genug, Andre nach ihrem Willen durch Vorſtellungen zu leiten; drum deſpotiſiren ſie; ſie ſind nicht fein genug, ihrem Herrſchtriebe Ge- nuͤge zu thun, ohne Andrer Ehrliebe zu kraͤnken; drum muß der, welcher ihrer bedarf, unter ihren groben Befehlen ſeufzen. So wie die Ehrliebe auch aus dem Verlan- gen nach andern Vortheilen, zu deren Beſitz die Ehre verhilft, entſpringen kann; ſo auch die Be- gierde zu herrſchen. Wer, in groͤßern oder klei- nern Kreiſen, der Erſte iſt, kann darauf rech- nen, daß Andre, um ſich ſeine Gunſt zu verſchaf- fen, gegen ihn gefaͤllig ſind, ſeine Neigungen zu befriedigen ſuchen, und ſeinen Wuͤnſchen zuvor- kommen. Er erhaͤlt mit der Herrſchaft zugleich mehr Gg

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/181
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/181>, abgerufen am 24.11.2024.