selbst über den Tod hinaus sehen; sondern nur des Kitzels gedenken, den sie empfanden, wenn ihr Name in dem Munde ihrer Mitbürger war, und sich in dem Taumel ihres Wahnsinns bereden, daß sie diesen Kitzel auch noch im Grabe empfin- den werden: es müßten denn ihre Jdeen von Ehre und Größe so verschroben und ihr moralisches Ge- fühl so roh seyn, daß sie ihre wahnsinnigen Tha- ten für groß und der Unsterblichkeit werth hielten, in welchem Fall sie denn freylich auch durch die Begierde, ihres Namen Gedächtniß zu verewi- gen, zu denselben bewogen werden könnten.
Sechszehnte Unterhaltung. Ueber die Neigung zum äußern Eigenthum.
Nichts hat wohl von alten Zeiten her die Köpfe und Federn der Richter und Advokaten mehr be- schäftigt, als die Processe über Mein und Dein. Jeder, wenn gleich nicht jeder gleich stark, wünscht etwas zu besitzen, und man muß den höchsten Grad von Jndolenz haben, wenn man die Wahr- heit des Sprichworts nicht fühlt: Eigner Heerd ist Goldes werth.
Haus und Hof, Nahrungsmittel und Klei- dung sind nothwendige Erfordernisse zur Erhal-
tung
ſelbſt uͤber den Tod hinaus ſehen; ſondern nur des Kitzels gedenken, den ſie empfanden, wenn ihr Name in dem Munde ihrer Mitbuͤrger war, und ſich in dem Taumel ihres Wahnſinns bereden, daß ſie dieſen Kitzel auch noch im Grabe empfin- den werden: es muͤßten denn ihre Jdeen von Ehre und Groͤße ſo verſchroben und ihr moraliſches Ge- fuͤhl ſo roh ſeyn, daß ſie ihre wahnſinnigen Tha- ten fuͤr groß und der Unſterblichkeit werth hielten, in welchem Fall ſie denn freylich auch durch die Begierde, ihres Namen Gedaͤchtniß zu verewi- gen, zu denſelben bewogen werden koͤnnten.
Sechszehnte Unterhaltung. Ueber die Neigung zum aͤußern Eigenthum.
Nichts hat wohl von alten Zeiten her die Koͤpfe und Federn der Richter und Advokaten mehr be- ſchaͤftigt, als die Proceſſe uͤber Mein und Dein. Jeder, wenn gleich nicht jeder gleich ſtark, wuͤnſcht etwas zu beſitzen, und man muß den hoͤchſten Grad von Jndolenz haben, wenn man die Wahr- heit des Sprichworts nicht fuͤhlt: Eigner Heerd iſt Goldes werth.
Haus und Hof, Nahrungsmittel und Klei- dung ſind nothwendige Erforderniſſe zur Erhal-
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ſelbſt uͤber den Tod hinaus ſehen; ſondern nur des
Kitzels gedenken, den ſie empfanden, wenn ihr
Name in dem Munde ihrer Mitbuͤrger war, und
ſich in dem Taumel ihres Wahnſinns bereden,
daß ſie dieſen Kitzel auch noch im Grabe empfin-
den werden: es muͤßten denn ihre Jdeen von Ehre
und Groͤße ſo verſchroben und ihr moraliſches Ge-
fuͤhl ſo roh ſeyn, daß ſie ihre wahnſinnigen Tha-
ten fuͤr groß und der Unſterblichkeit werth hielten,
in welchem Fall ſie denn freylich auch durch die
Begierde, ihres Namen Gedaͤchtniß zu verewi-
gen, zu denſelben bewogen werden koͤnnten.
Sechszehnte Unterhaltung.
Ueber die
Neigung zum aͤußern Eigenthum.
Nichts hat wohl von alten Zeiten her die Koͤpfe
und Federn der Richter und Advokaten mehr be-
ſchaͤftigt, als die Proceſſe uͤber Mein und Dein.
Jeder, wenn gleich nicht jeder gleich ſtark, wuͤnſcht
etwas zu beſitzen, und man muß den hoͤchſten
Grad von Jndolenz haben, wenn man die Wahr-
heit des Sprichworts nicht fuͤhlt: Eigner Heerd
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/188>, abgerufen am 21.11.2024.
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