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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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selbst, unzähligemal, daß man bey einer solchen
Veranlassung sich wohl einmal etwas zu gute thun
könne; es sey ja, wenn man nur wolle, leicht,
dies nachher wieder zu ersparen. --

Jst die Liebe zum Eigenthum so übertrieben,
daß man sich sogar das Nothdürftige entzieht,
alle Mittel, schlechte und gute, anwendet, das-
selbe zu erhalten und zu vergrößern, und selbst die
Ehrliebe ihr unterordnet; so wird sie Filzigkeit,
niederträchtiger Geiz
(sordities).

Der niederträchtige oder schmutzige Geiz setzt
ein für alle menschliche Gefühle abgestumpftes
Herz, eine verworfene Seele und einen gebrech-
lichen Character voraus. Kein Funken von
Menschenliebe, Gerechtigkeit, Billigkeit, Ver-
trauen und Pflichtgefühl in einem Geizigen dieser
Art. Kein Freund kann auf ihn rechnen, kein
Blutsverwandter auf ihn hoffen. Jn jedem Men-
schen, sein Weib und seine Kinder nicht ausge-
nommen, sieht er hinterlistige Nachsteller seines
Vermögens. Cela est etrange, ruft Harpagon
beym Moliere aus, als sein Sohn auf die Kla-
gen des Vaters über elende Zeiten, antwortet:
"daß er doch wohl nicht Ursach zu klagen habe,
da die ganze Stadt wisse, daß er Vermögen ge-
nug habe." Cela est etrange! que mes pro-
pres enfans me trahissent, & deviennent mes

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ſelbſt, unzaͤhligemal, daß man bey einer ſolchen
Veranlaſſung ſich wohl einmal etwas zu gute thun
koͤnne; es ſey ja, wenn man nur wolle, leicht,
dies nachher wieder zu erſparen. —

Jſt die Liebe zum Eigenthum ſo uͤbertrieben,
daß man ſich ſogar das Nothduͤrftige entzieht,
alle Mittel, ſchlechte und gute, anwendet, daſ-
ſelbe zu erhalten und zu vergroͤßern, und ſelbſt die
Ehrliebe ihr unterordnet; ſo wird ſie Filzigkeit,
niedertraͤchtiger Geiz
(ſordities).

Der niedertraͤchtige oder ſchmutzige Geiz ſetzt
ein fuͤr alle menſchliche Gefuͤhle abgeſtumpftes
Herz, eine verworfene Seele und einen gebrech-
lichen Character voraus. Kein Funken von
Menſchenliebe, Gerechtigkeit, Billigkeit, Ver-
trauen und Pflichtgefuͤhl in einem Geizigen dieſer
Art. Kein Freund kann auf ihn rechnen, kein
Blutsverwandter auf ihn hoffen. Jn jedem Men-
ſchen, ſein Weib und ſeine Kinder nicht ausge-
nommen, ſieht er hinterliſtige Nachſteller ſeines
Vermoͤgens. Cela eſt étrange, ruft Harpagon
beym Moliere aus, als ſein Sohn auf die Kla-
gen des Vaters uͤber elende Zeiten, antwortet:
„daß er doch wohl nicht Urſach zu klagen habe,
da die ganze Stadt wiſſe, daß er Vermoͤgen ge-
nug habe.„ Cela eſt étrange! que mes pro-
pres enfans me trahiſſent, & deviennent mes

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[481/0197] ſelbſt, unzaͤhligemal, daß man bey einer ſolchen Veranlaſſung ſich wohl einmal etwas zu gute thun koͤnne; es ſey ja, wenn man nur wolle, leicht, dies nachher wieder zu erſparen. — Jſt die Liebe zum Eigenthum ſo uͤbertrieben, daß man ſich ſogar das Nothduͤrftige entzieht, alle Mittel, ſchlechte und gute, anwendet, daſ- ſelbe zu erhalten und zu vergroͤßern, und ſelbſt die Ehrliebe ihr unterordnet; ſo wird ſie Filzigkeit, niedertraͤchtiger Geiz (ſordities). Der niedertraͤchtige oder ſchmutzige Geiz ſetzt ein fuͤr alle menſchliche Gefuͤhle abgeſtumpftes Herz, eine verworfene Seele und einen gebrech- lichen Character voraus. Kein Funken von Menſchenliebe, Gerechtigkeit, Billigkeit, Ver- trauen und Pflichtgefuͤhl in einem Geizigen dieſer Art. Kein Freund kann auf ihn rechnen, kein Blutsverwandter auf ihn hoffen. Jn jedem Men- ſchen, ſein Weib und ſeine Kinder nicht ausge- nommen, ſieht er hinterliſtige Nachſteller ſeines Vermoͤgens. Cela eſt étrange, ruft Harpagon beym Moliere aus, als ſein Sohn auf die Kla- gen des Vaters uͤber elende Zeiten, antwortet: „daß er doch wohl nicht Urſach zu klagen habe, da die ganze Stadt wiſſe, daß er Vermoͤgen ge- nug habe.„ Cela eſt étrange! que mes pro- pres enfans me trahiſſent, & deviennent mes enne- Hh

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/197>, abgerufen am 21.11.2024.