Eben so warm, wie Bourret, spricht Saussüre*) von der edlen Gemüthsart der Alpenbewohner: Die Seele des Bewohners die- ser Gebirge, so sagt er, erhebt und veredelt sich; die Dienstgefälligkeiten, die er erzeigt, die Pflich- ten der Gastfreyheit, die er erfüllt, haben nichts vom Miethling oder Knecht an sich; in seinen Augen funkelt jener edle Stolz, der sowohl ein Gefährte, als Beschützer aller Tugenden ist. Wie oft, wenn mich die Nacht bey einsamen und ent- legenen Alpendörfchen oder Sennhütten überfiel, und keine Herberge in der Nähe war, klopfte ich nicht an die Thüre einer solchen Hütte, und wur- de, nach meiner Antwort auf einige Fragen, die meine Reise betrafen, mit einer Höflichkeit, Freundschaft, Gutherzigkeit und Uneigennützig- keit aufgenommen, wovon man anderwärts mit Mühe Beyspiele aufzusuchen hätte.
Noch kann ich, schreibt Herr von Saussüre am Ende des ersten Theils seiner Reisen, die Berge von St. Gingouph nicht verlassen, ohne eine Geschichte zu erzählen, wodurch sich die Un- schuld der Einwohner dieser hohen Thäler aus- zeichnet. Jch traf in diesen ausgedehnten Wü- sten, die in der Jahrszeit, worin ich sie durch- wanderte, unbewohnt sind, einen jungen Men-
schen
*) Jn seinen Reisen durch die Alpen, aus dem Fran- zösischen.
Eben ſo warm, wie Bourret, ſpricht Sauſſuͤre*) von der edlen Gemuͤthsart der Alpenbewohner: Die Seele des Bewohners die- ſer Gebirge, ſo ſagt er, erhebt und veredelt ſich; die Dienſtgefaͤlligkeiten, die er erzeigt, die Pflich- ten der Gaſtfreyheit, die er erfuͤllt, haben nichts vom Miethling oder Knecht an ſich; in ſeinen Augen funkelt jener edle Stolz, der ſowohl ein Gefaͤhrte, als Beſchuͤtzer aller Tugenden iſt. Wie oft, wenn mich die Nacht bey einſamen und ent- legenen Alpendoͤrfchen oder Sennhuͤtten uͤberfiel, und keine Herberge in der Naͤhe war, klopfte ich nicht an die Thuͤre einer ſolchen Huͤtte, und wur- de, nach meiner Antwort auf einige Fragen, die meine Reiſe betrafen, mit einer Hoͤflichkeit, Freundſchaft, Gutherzigkeit und Uneigennuͤtzig- keit aufgenommen, wovon man anderwaͤrts mit Muͤhe Beyſpiele aufzuſuchen haͤtte.
Noch kann ich, ſchreibt Herr von Sauſſuͤre am Ende des erſten Theils ſeiner Reiſen, die Berge von St. Gingouph nicht verlaſſen, ohne eine Geſchichte zu erzaͤhlen, wodurch ſich die Un- ſchuld der Einwohner dieſer hohen Thaͤler aus- zeichnet. Jch traf in dieſen ausgedehnten Wuͤ- ſten, die in der Jahrszeit, worin ich ſie durch- wanderte, unbewohnt ſind, einen jungen Men-
ſchen
*) Jn ſeinen Reiſen durch die Alpen, aus dem Fran- zoͤſiſchen.
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Eben ſo warm, wie Bourret, ſpricht
Sauſſuͤre *) von der edlen Gemuͤthsart der
Alpenbewohner: Die Seele des Bewohners die-
ſer Gebirge, ſo ſagt er, erhebt und veredelt ſich;
die Dienſtgefaͤlligkeiten, die er erzeigt, die Pflich-
ten der Gaſtfreyheit, die er erfuͤllt, haben nichts
vom Miethling oder Knecht an ſich; in ſeinen
Augen funkelt jener edle Stolz, der ſowohl ein
Gefaͤhrte, als Beſchuͤtzer aller Tugenden iſt. Wie
oft, wenn mich die Nacht bey einſamen und ent-
legenen Alpendoͤrfchen oder Sennhuͤtten uͤberfiel,
und keine Herberge in der Naͤhe war, klopfte ich
nicht an die Thuͤre einer ſolchen Huͤtte, und wur-
de, nach meiner Antwort auf einige Fragen, die
meine Reiſe betrafen, mit einer Hoͤflichkeit,
Freundſchaft, Gutherzigkeit und Uneigennuͤtzig-
keit aufgenommen, wovon man anderwaͤrts mit
Muͤhe Beyſpiele aufzuſuchen haͤtte.
Noch kann ich, ſchreibt Herr von Sauſſuͤre
am Ende des erſten Theils ſeiner Reiſen, die
Berge von St. Gingouph nicht verlaſſen, ohne
eine Geſchichte zu erzaͤhlen, wodurch ſich die Un-
ſchuld der Einwohner dieſer hohen Thaͤler aus-
zeichnet. Jch traf in dieſen ausgedehnten Wuͤ-
ſten, die in der Jahrszeit, worin ich ſie durch-
wanderte, unbewohnt ſind, einen jungen Men-
ſchen
*) Jn ſeinen Reiſen durch die Alpen, aus dem Fran-
zoͤſiſchen.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/209>, abgerufen am 23.11.2024.
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