Liebe, unverletzliche Treue, Unschuld der Sitten und reges Gefühl für Recht und Unrecht athmen aus ihrem ganzen Betragen.
Kann man ein Volk niedrig und verworfen nennen, wie es die Hottentotten nach den Er- zählungen Mancher auf der Studirstube gereisten seyn müßten, welches so edel ist, sich nur durch Liebe und eingeflößtes Vertrauen gewinnen zu las- sen? Und nur auf diesem Wege können die Hottentotten gewonnen werden. Die erste Ge- sinnung, sagt der genannte Reisebeschreiber, die man dem Wilden einzuflößen bedacht seyn soll, ist das Zutrauen; um das Jhrige zu erlangen, muß man sie menschlich behandeln, gegen sie wohlthätig seyn, ihre Schwächen nicht mißbrau- chen, ihnen auf keine Weise Furcht einjagen, aber auf der andern Seite auch keine Furcht bli- cken lassen; gewöhnlich erhält man von ihnen Al- les, wenn man nichts mit Gewalt von ihnen fordert."*) Mit friedlichen Gesinnungen, setzt der Verfasser hinzu, hätte ich ganz Afrika durch- reisen wollen!
Daß die barbarischen und unmenschlichen Er- oberer dieser Länder der Unschuld, die sie bewoh- nenden Nationen nicht so fanden, wie Vaillant die Hottentotten fand, ist wohl nicht zu ver- wundern. Denn weil sie, um von diesen Län-
dern
*) Le Vaillants Reisen. 2. Th. S. 107.
Liebe, unverletzliche Treue, Unſchuld der Sitten und reges Gefuͤhl fuͤr Recht und Unrecht athmen aus ihrem ganzen Betragen.
Kann man ein Volk niedrig und verworfen nennen, wie es die Hottentotten nach den Er- zaͤhlungen Mancher auf der Studirſtube gereiſten ſeyn muͤßten, welches ſo edel iſt, ſich nur durch Liebe und eingefloͤßtes Vertrauen gewinnen zu laſ- ſen? Und nur auf dieſem Wege koͤnnen die Hottentotten gewonnen werden. Die erſte Ge- ſinnung, ſagt der genannte Reiſebeſchreiber, die man dem Wilden einzufloͤßen bedacht ſeyn ſoll, iſt das Zutrauen; um das Jhrige zu erlangen, muß man ſie menſchlich behandeln, gegen ſie wohlthaͤtig ſeyn, ihre Schwaͤchen nicht mißbrau- chen, ihnen auf keine Weiſe Furcht einjagen, aber auf der andern Seite auch keine Furcht bli- cken laſſen; gewoͤhnlich erhaͤlt man von ihnen Al- les, wenn man nichts mit Gewalt von ihnen fordert.„*) Mit friedlichen Geſinnungen, ſetzt der Verfaſſer hinzu, haͤtte ich ganz Afrika durch- reiſen wollen!
Daß die barbariſchen und unmenſchlichen Er- oberer dieſer Laͤnder der Unſchuld, die ſie bewoh- nenden Nationen nicht ſo fanden, wie Vaillant die Hottentotten fand, iſt wohl nicht zu ver- wundern. Denn weil ſie, um von dieſen Laͤn-
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*) Le Vaillants Reiſen. 2. Th. S. 107.
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Liebe, unverletzliche Treue, Unſchuld der
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Unrecht athmen aus ihrem ganzen Betragen.
Kann man ein Volk niedrig und verworfen
nennen, wie es die Hottentotten nach den Er-
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ſeyn muͤßten, welches ſo edel iſt, ſich nur durch
Liebe und eingefloͤßtes Vertrauen gewinnen zu laſ-
ſen? Und nur auf dieſem Wege koͤnnen die
Hottentotten gewonnen werden. Die erſte Ge-
ſinnung, ſagt der genannte Reiſebeſchreiber, die
man dem Wilden einzufloͤßen bedacht ſeyn ſoll,
iſt das Zutrauen; um das Jhrige zu erlangen,
muß man ſie menſchlich behandeln, gegen ſie
wohlthaͤtig ſeyn, ihre Schwaͤchen nicht mißbrau-
chen, ihnen auf keine Weiſe Furcht einjagen,
aber auf der andern Seite auch keine Furcht bli-
cken laſſen; gewoͤhnlich erhaͤlt man von ihnen Al-
les, wenn man nichts mit Gewalt von ihnen
fordert.„ *) Mit friedlichen Geſinnungen, ſetzt
der Verfaſſer hinzu, haͤtte ich ganz Afrika durch-
reiſen wollen!
Daß die barbariſchen und unmenſchlichen Er-
oberer dieſer Laͤnder der Unſchuld, die ſie bewoh-
nenden Nationen nicht ſo fanden, wie Vaillant
die Hottentotten fand, iſt wohl nicht zu ver-
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dern
*) Le Vaillants Reiſen. 2. Th. S. 107.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 500. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/216>, abgerufen am 24.11.2024.
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