durch dessen Wort die Natur ward, an dessen Wort sie sich hält. --
Zur Verbindung der Menschen untereinan- der, konnte die Natur wohl kein besseres Mittel wählen, als das Mitgefühl oder die Sympa- thie, vermöge welcher unsre eigne Empfindung Andere gleichsam zu einem Theil unserer Jndivi- dualität macht.
Jch habe in den vorhergehenden Unterhaltun- gen diejenigen Triebe und Neigungen zu entwickeln gesucht, welche die eigne Glückseligkeit zum Ziel haben: und bitte meine Leser und Leserinnen, wel- che mich bis hieher begleitet haben, mir nun zu der Betrachtung derjenigen Triebe und Neigungen zu folgen, die sich auf Andre beziehen.
Wenn ich dieser Betrachtung Untersuchun- gen über das Mitgefühl voranschicke, und dieses also als die Quelle der Neigungen, die auf das Wohlseyn Andrer gerichtet sind, anzusehen schei- ne; so bitte ich dieses nicht so zu verstehen, als wenn ich die Sympathie für ein von der Selbst- liebe unabhängiges Princip des Begehrungsver- mögens ausgeben wollte. Jch halte sie vielmehr für nichts anders, als die, nur verkleidete, Selbst- liebe, welche sich von der, eigentlich so genannten, nur dadurch unterscheidet, daß sie zu ihrer Be- friedigung das Wohlseyn Anderer als Mittel ge-
braucht;
durch deſſen Wort die Natur ward, an deſſen Wort ſie ſich haͤlt. —
Zur Verbindung der Menſchen untereinan- der, konnte die Natur wohl kein beſſeres Mittel waͤhlen, als das Mitgefuͤhl oder die Sympa- thie, vermoͤge welcher unſre eigne Empfindung Andere gleichſam zu einem Theil unſerer Jndivi- dualitaͤt macht.
Jch habe in den vorhergehenden Unterhaltun- gen diejenigen Triebe und Neigungen zu entwickeln geſucht, welche die eigne Gluͤckſeligkeit zum Ziel haben: und bitte meine Leſer und Leſerinnen, wel- che mich bis hieher begleitet haben, mir nun zu der Betrachtung derjenigen Triebe und Neigungen zu folgen, die ſich auf Andre beziehen.
Wenn ich dieſer Betrachtung Unterſuchun- gen uͤber das Mitgefuͤhl voranſchicke, und dieſes alſo als die Quelle der Neigungen, die auf das Wohlſeyn Andrer gerichtet ſind, anzuſehen ſchei- ne; ſo bitte ich dieſes nicht ſo zu verſtehen, als wenn ich die Sympathie fuͤr ein von der Selbſt- liebe unabhaͤngiges Princip des Begehrungsver- moͤgens ausgeben wollte. Jch halte ſie vielmehr fuͤr nichts anders, als die, nur verkleidete, Selbſt- liebe, welche ſich von der, eigentlich ſo genannten, nur dadurch unterſcheidet, daß ſie zu ihrer Be- friedigung das Wohlſeyn Anderer als Mittel ge-
braucht;
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durch deſſen Wort die Natur ward, an deſſen
Wort ſie ſich haͤlt. —
Zur Verbindung der Menſchen untereinan-
der, konnte die Natur wohl kein beſſeres Mittel
waͤhlen, als das Mitgefuͤhl oder die Sympa-
thie, vermoͤge welcher unſre eigne Empfindung
Andere gleichſam zu einem Theil unſerer Jndivi-
dualitaͤt macht.
Jch habe in den vorhergehenden Unterhaltun-
gen diejenigen Triebe und Neigungen zu entwickeln
geſucht, welche die eigne Gluͤckſeligkeit zum Ziel
haben: und bitte meine Leſer und Leſerinnen, wel-
che mich bis hieher begleitet haben, mir nun zu
der Betrachtung derjenigen Triebe und Neigungen
zu folgen, die ſich auf Andre beziehen.
Wenn ich dieſer Betrachtung Unterſuchun-
gen uͤber das Mitgefuͤhl voranſchicke, und dieſes
alſo als die Quelle der Neigungen, die auf das
Wohlſeyn Andrer gerichtet ſind, anzuſehen ſchei-
ne; ſo bitte ich dieſes nicht ſo zu verſtehen, als
wenn ich die Sympathie fuͤr ein von der Selbſt-
liebe unabhaͤngiges Princip des Begehrungsver-
moͤgens ausgeben wollte. Jch halte ſie vielmehr
fuͤr nichts anders, als die, nur verkleidete, Selbſt-
liebe, welche ſich von der, eigentlich ſo genannten,
nur dadurch unterſcheidet, daß ſie zu ihrer Be-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/232>, abgerufen am 24.11.2024.
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