braucht; die Sache aber genau untersucht, doch ihr Jndividuum zum Zweck hat.
Jch hoffe, diese Behauptung durch die fol- genden Untersuchungen zu bestätigen, und fürchte nicht, daß man aus dem Resultate derselben den Vorwurf des Egoismus für die menschliche Na- tur durch falsche Konsequenzen herleiten werde; indem gewiß dem Egoismus durch nichts besser vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das Wohlseyn Anderer so innig mit dem eignen Wohl verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er- forderniß zu diesem gehört.
Das Mitgefühl, welches entweder Mitlei- den oder Mitfreude ist, ist eine Theilnehmung an dem, was Andere empfinden; und setzt also eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer voraus. Diese Empfindungen selbst aber können, als etwas, das in dem Jnnern des Menschen ist, nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck derselben kann man sehen oder hören. Diesen hörbaren oder sichtbaren Ausdrücken legt man nun, aus seiner eignen Erfahrung unterrichtet, diejenigen Empfindungen unter, von welchen man glaubt, daß jene Ausdrücke sie bezeichnen, und trägt so durch Vermittelung der Repräsentantin der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft, die Empfindungen des Anderen in sich selbst hin- über: und wird, wenn diese angenehm sind, von
Mit-
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braucht; die Sache aber genau unterſucht, doch ihr Jndividuum zum Zweck hat.
Jch hoffe, dieſe Behauptung durch die fol- genden Unterſuchungen zu beſtaͤtigen, und fuͤrchte nicht, daß man aus dem Reſultate derſelben den Vorwurf des Egoismus fuͤr die menſchliche Na- tur durch falſche Konſequenzen herleiten werde; indem gewiß dem Egoismus durch nichts beſſer vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das Wohlſeyn Anderer ſo innig mit dem eignen Wohl verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er- forderniß zu dieſem gehoͤrt.
Das Mitgefuͤhl, welches entweder Mitlei- den oder Mitfreude iſt, iſt eine Theilnehmung an dem, was Andere empfinden; und ſetzt alſo eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer voraus. Dieſe Empfindungen ſelbſt aber koͤnnen, als etwas, das in dem Jnnern des Menſchen iſt, nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck derſelben kann man ſehen oder hoͤren. Dieſen hoͤrbaren oder ſichtbaren Ausdruͤcken legt man nun, aus ſeiner eignen Erfahrung unterrichtet, diejenigen Empfindungen unter, von welchen man glaubt, daß jene Ausdruͤcke ſie bezeichnen, und traͤgt ſo durch Vermittelung der Repraͤſentantin der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft, die Empfindungen des Anderen in ſich ſelbſt hin- uͤber: und wird, wenn dieſe angenehm ſind, von
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braucht; die Sache aber genau unterſucht, doch
ihr Jndividuum zum Zweck hat.
Jch hoffe, dieſe Behauptung durch die fol-
genden Unterſuchungen zu beſtaͤtigen, und fuͤrchte
nicht, daß man aus dem Reſultate derſelben den
Vorwurf des Egoismus fuͤr die menſchliche Na-
tur durch falſche Konſequenzen herleiten werde;
indem gewiß dem Egoismus durch nichts beſſer
vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das
Wohlſeyn Anderer ſo innig mit dem eignen Wohl
verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er-
forderniß zu dieſem gehoͤrt.
Das Mitgefuͤhl, welches entweder Mitlei-
den oder Mitfreude iſt, iſt eine Theilnehmung
an dem, was Andere empfinden; und ſetzt alſo
eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer
voraus. Dieſe Empfindungen ſelbſt aber koͤnnen,
als etwas, das in dem Jnnern des Menſchen iſt,
nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck
derſelben kann man ſehen oder hoͤren. Dieſen
hoͤrbaren oder ſichtbaren Ausdruͤcken legt man
nun, aus ſeiner eignen Erfahrung unterrichtet,
diejenigen Empfindungen unter, von welchen man
glaubt, daß jene Ausdruͤcke ſie bezeichnen, und
traͤgt ſo durch Vermittelung der Repraͤſentantin
der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft,
die Empfindungen des Anderen in ſich ſelbſt hin-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/233>, abgerufen am 24.11.2024.
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