welchem sie in der vollkommnen Erreichung des Zwecks der Liebe besteht, in der vollkommnen, durch Körper, Launen und Begierden der Sinn- lichkeit nicht mehr gehinderten Einigung Eines mit Allen, und Aller mit Einem, und Eines und Aller mit Gott. --
Weil Einheit das Ziel der Hofnungen, Wün- sche und Bestrebungen der Liebe ist, erfüllt Alles, was den Schritt zu diesem Ziele aufhält, von ihm entfernt oder abführt, mit dem herzlichstem Schmerz. Wie jammert die zärtliche Mutter, wenn sie ihrem Kinde das letzte Lebewohl sagen soll! wie härmt sich das liebende Mädchen, wenn ihr Jüngling von ihrem Busen gerissen wird! Jst es gleich nicht der Körper, an welchem ihre Liebe sich hält, so sind doch Auge, Mund, Hand und Pulsschlag die Organe, durch welche das Herz redet.
Nichts ist den Liebenden unerträglicher, be- kümmernder, folternder, als Entzweyung, Auf- hebung des Einverständnisses. O wie mancher- ley Versuche macht der Freund, den Freund wie- der an sich zu ziehen! Wie wimmert der andäch- tige Büßer, wenn er glaubt, daß Gott sein An- gesicht vor ihm verberge! Wie gern thut er alles, opfert er alles auf, um sich nur seiner Liebe wie- der zu versichern! Und wie fest, warm und neu ist nach der Versöhnung der Vorsatz der Lieben-
den,
welchem ſie in der vollkommnen Erreichung des Zwecks der Liebe beſteht, in der vollkommnen, durch Koͤrper, Launen und Begierden der Sinn- lichkeit nicht mehr gehinderten Einigung Eines mit Allen, und Aller mit Einem, und Eines und Aller mit Gott. —
Weil Einheit das Ziel der Hofnungen, Wuͤn- ſche und Beſtrebungen der Liebe iſt, erfuͤllt Alles, was den Schritt zu dieſem Ziele aufhaͤlt, von ihm entfernt oder abfuͤhrt, mit dem herzlichſtem Schmerz. Wie jammert die zaͤrtliche Mutter, wenn ſie ihrem Kinde das letzte Lebewohl ſagen ſoll! wie haͤrmt ſich das liebende Maͤdchen, wenn ihr Juͤngling von ihrem Buſen geriſſen wird! Jſt es gleich nicht der Koͤrper, an welchem ihre Liebe ſich haͤlt, ſo ſind doch Auge, Mund, Hand und Pulsſchlag die Organe, durch welche das Herz redet.
Nichts iſt den Liebenden unertraͤglicher, be- kuͤmmernder, folternder, als Entzweyung, Auf- hebung des Einverſtaͤndniſſes. O wie mancher- ley Verſuche macht der Freund, den Freund wie- der an ſich zu ziehen! Wie wimmert der andaͤch- tige Buͤßer, wenn er glaubt, daß Gott ſein An- geſicht vor ihm verberge! Wie gern thut er alles, opfert er alles auf, um ſich nur ſeiner Liebe wie- der zu verſichern! Und wie feſt, warm und neu iſt nach der Verſoͤhnung der Vorſatz der Lieben-
den,
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welchem ſie in der vollkommnen Erreichung des
Zwecks der Liebe beſteht, in der vollkommnen,
durch Koͤrper, Launen und Begierden der Sinn-
lichkeit nicht mehr gehinderten Einigung Eines mit
Allen, und Aller mit Einem, und Eines und
Aller mit Gott. —
Weil Einheit das Ziel der Hofnungen, Wuͤn-
ſche und Beſtrebungen der Liebe iſt, erfuͤllt Alles,
was den Schritt zu dieſem Ziele aufhaͤlt, von ihm
entfernt oder abfuͤhrt, mit dem herzlichſtem
Schmerz. Wie jammert die zaͤrtliche Mutter,
wenn ſie ihrem Kinde das letzte Lebewohl ſagen
ſoll! wie haͤrmt ſich das liebende Maͤdchen, wenn
ihr Juͤngling von ihrem Buſen geriſſen wird! Jſt
es gleich nicht der Koͤrper, an welchem ihre Liebe
ſich haͤlt, ſo ſind doch Auge, Mund, Hand
und Pulsſchlag die Organe, durch welche das
Herz redet.
Nichts iſt den Liebenden unertraͤglicher, be-
kuͤmmernder, folternder, als Entzweyung, Auf-
hebung des Einverſtaͤndniſſes. O wie mancher-
ley Verſuche macht der Freund, den Freund wie-
der an ſich zu ziehen! Wie wimmert der andaͤch-
tige Buͤßer, wenn er glaubt, daß Gott ſein An-
geſicht vor ihm verberge! Wie gern thut er alles,
opfert er alles auf, um ſich nur ſeiner Liebe wie-
der zu verſichern! Und wie feſt, warm und neu
iſt nach der Verſoͤhnung der Vorſatz der Lieben-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/252>, abgerufen am 22.11.2024.
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