den, nie wieder die selige Einheit, die sie verbin- det, zu trennen! --
Lange trägt der Liebende seine Liebe im Herzen, ehe er es wagt, sie der, welche er meynt, zu ge- stehen, auch wenn die Sprache ihrer Augen und Minen ihm längst entdeckt hat, daß sein Geständ- niß willkommen seyn werde. Er fürchtet, seine Worte möchten den Auftrag seines Herzens übel ausrichten, und nicht geschickt genug seyn, die Geliebte zur Zuneigung zu bereden. Aber hat er es einmal gewagt, sein Herz durch den Mund reden zu lassen, und ist er so glücklich gewesen, der Gegenliebe versichert zu werden, o dann ist er im Himmel auf Erden, und dieser Augenblick der se- ligste seines Lebens. --
Seht, wie der Wunsch, mit dem geliebten Gegenstande Eins zu werden, sich in allen Aeu- ßerungen und Handlungen des Liebenden, aus- drückt! -- Alle Eigenschaften und Eigenheiten des Gegenstandes seiner Liebe trägt er in sich hin- über, und wird unvermerkt ganz derselbe, in Ton und Sprache, Stellung und Anzug, Den- kungs- und Handlungsart. Jnnig freut er sich, wenn sein Kleid mit dem des Geliebten überein- kömmt, sein Urtheil, wie Jenes ist, sein Geschmack dem Geschmacke seines zweyten Jchs entspricht: und wie leicht, wie willig ändert er seine Gedan-
ken,
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den, nie wieder die ſelige Einheit, die ſie verbin- det, zu trennen! —
Lange traͤgt der Liebende ſeine Liebe im Herzen, ehe er es wagt, ſie der, welche er meynt, zu ge- ſtehen, auch wenn die Sprache ihrer Augen und Minen ihm laͤngſt entdeckt hat, daß ſein Geſtaͤnd- niß willkommen ſeyn werde. Er fuͤrchtet, ſeine Worte moͤchten den Auftrag ſeines Herzens uͤbel ausrichten, und nicht geſchickt genug ſeyn, die Geliebte zur Zuneigung zu bereden. Aber hat er es einmal gewagt, ſein Herz durch den Mund reden zu laſſen, und iſt er ſo gluͤcklich geweſen, der Gegenliebe verſichert zu werden, o dann iſt er im Himmel auf Erden, und dieſer Augenblick der ſe- ligſte ſeines Lebens. —
Seht, wie der Wunſch, mit dem geliebten Gegenſtande Eins zu werden, ſich in allen Aeu- ßerungen und Handlungen des Liebenden, aus- druͤckt! — Alle Eigenſchaften und Eigenheiten des Gegenſtandes ſeiner Liebe traͤgt er in ſich hin- uͤber, und wird unvermerkt ganz derſelbe, in Ton und Sprache, Stellung und Anzug, Den- kungs- und Handlungsart. Jnnig freut er ſich, wenn ſein Kleid mit dem des Geliebten uͤberein- koͤmmt, ſein Urtheil, wie Jenes iſt, ſein Geſchmack dem Geſchmacke ſeines zweyten Jchs entſpricht: und wie leicht, wie willig aͤndert er ſeine Gedan-
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den, nie wieder die ſelige Einheit, die ſie verbin-
det, zu trennen! —
Lange traͤgt der Liebende ſeine Liebe im Herzen,
ehe er es wagt, ſie der, welche er meynt, zu ge-
ſtehen, auch wenn die Sprache ihrer Augen und
Minen ihm laͤngſt entdeckt hat, daß ſein Geſtaͤnd-
niß willkommen ſeyn werde. Er fuͤrchtet, ſeine
Worte moͤchten den Auftrag ſeines Herzens uͤbel
ausrichten, und nicht geſchickt genug ſeyn, die
Geliebte zur Zuneigung zu bereden. Aber hat er
es einmal gewagt, ſein Herz durch den Mund
reden zu laſſen, und iſt er ſo gluͤcklich geweſen, der
Gegenliebe verſichert zu werden, o dann iſt er im
Himmel auf Erden, und dieſer Augenblick der ſe-
ligſte ſeines Lebens. —
Seht, wie der Wunſch, mit dem geliebten
Gegenſtande Eins zu werden, ſich in allen Aeu-
ßerungen und Handlungen des Liebenden, aus-
druͤckt! — Alle Eigenſchaften und Eigenheiten
des Gegenſtandes ſeiner Liebe traͤgt er in ſich hin-
uͤber, und wird unvermerkt ganz derſelbe, in
Ton und Sprache, Stellung und Anzug, Den-
kungs- und Handlungsart. Jnnig freut er ſich,
wenn ſein Kleid mit dem des Geliebten uͤberein-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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