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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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ken, seine Wünsche, wenn sie von Jenes Ge-
danken und Wünschen verschieden sind*).

Mit Recht empfehlen daher Menschen ken-
nende Tugendlehrer die Liebe zu einem tugendhaf-
ten
Gegenstande, als das wirksamste Tugendmit-
tel. Die Sehnsucht, mit welcher man verlangt,
in das Herz des Geliebten aufgenommen zu wer-
den, treibt, wie kein anderes Motiv, lebhaft
an, alles das aus sich wegzuschaffen, was die
Vereinigung hindern, und alles das in sich zu le-
gen, was sie befördern kann. Die üppige Da-
nae
wird durch die Liebe zu Agathon sittsamer.
Agathon durch die Erinnerung an seine tugend-
hafte Psyche vor der Verführung des Sophisten
gewarnt.

Sich selbst vergißt der Liebende in dem Ge-
liebten. Man fordre von ihm welche Aufopfe-

rung
*) Leicht wird es dem Ritter Hüon in Wielands Obe-
ron, seine Geliebte Rezia, die Sultanstochter, zu
seinem Glauben zu bekehren. Denn, sagt der
Dichter:
Groß ist in des Geliebten Mund
Der Wahrheit Kraft: das Herz, voraus mit
ihm in Bund,
Horcht ihm mit Lust und lehrbegierigen Schweigen.
Was ist so leicht zu überzeugen
Als Liebe? Ein Blick, ein Kuß ist ihr ein Glau-
bensgrund. --

ken, ſeine Wuͤnſche, wenn ſie von Jenes Ge-
danken und Wuͤnſchen verſchieden ſind*).

Mit Recht empfehlen daher Menſchen ken-
nende Tugendlehrer die Liebe zu einem tugendhaf-
ten
Gegenſtande, als das wirkſamſte Tugendmit-
tel. Die Sehnſucht, mit welcher man verlangt,
in das Herz des Geliebten aufgenommen zu wer-
den, treibt, wie kein anderes Motiv, lebhaft
an, alles das aus ſich wegzuſchaffen, was die
Vereinigung hindern, und alles das in ſich zu le-
gen, was ſie befoͤrdern kann. Die uͤppige Da-
nae
wird durch die Liebe zu Agathon ſittſamer.
Agathon durch die Erinnerung an ſeine tugend-
hafte Pſyche vor der Verfuͤhrung des Sophiſten
gewarnt.

Sich ſelbſt vergißt der Liebende in dem Ge-
liebten. Man fordre von ihm welche Aufopfe-

rung
*) Leicht wird es dem Ritter Huͤon in Wielands Obe-
ron, ſeine Geliebte Rezia, die Sultanstochter, zu
ſeinem Glauben zu bekehren. Denn, ſagt der
Dichter:
Groß iſt in des Geliebten Mund
Der Wahrheit Kraft: das Herz, voraus mit
ihm in Bund,
Horcht ihm mit Luſt und lehrbegierigen Schweigen.
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bensgrund. —
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[538/0254] ken, ſeine Wuͤnſche, wenn ſie von Jenes Ge- danken und Wuͤnſchen verſchieden ſind *). Mit Recht empfehlen daher Menſchen ken- nende Tugendlehrer die Liebe zu einem tugendhaf- ten Gegenſtande, als das wirkſamſte Tugendmit- tel. Die Sehnſucht, mit welcher man verlangt, in das Herz des Geliebten aufgenommen zu wer- den, treibt, wie kein anderes Motiv, lebhaft an, alles das aus ſich wegzuſchaffen, was die Vereinigung hindern, und alles das in ſich zu le- gen, was ſie befoͤrdern kann. Die uͤppige Da- nae wird durch die Liebe zu Agathon ſittſamer. Agathon durch die Erinnerung an ſeine tugend- hafte Pſyche vor der Verfuͤhrung des Sophiſten gewarnt. Sich ſelbſt vergißt der Liebende in dem Ge- liebten. Man fordre von ihm welche Aufopfe- rung *) Leicht wird es dem Ritter Huͤon in Wielands Obe- ron, ſeine Geliebte Rezia, die Sultanstochter, zu ſeinem Glauben zu bekehren. Denn, ſagt der Dichter: Groß iſt in des Geliebten Mund Der Wahrheit Kraft: das Herz, voraus mit ihm in Bund, Horcht ihm mit Luſt und lehrbegierigen Schweigen. Was iſt ſo leicht zu uͤberzeugen Als Liebe? Ein Blick, ein Kuß iſt ihr ein Glau- bensgrund. —

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/254>, abgerufen am 22.11.2024.