ist nun aus! -- Wenn ich an dich denke, so brauset mein Eingeweide. -- Ach! daß ich wei- nen könnte, wie ihr Andern, so könnte ich doch meinen Schmerz mildern! Was soll ich mir nun wünschen? Der Tod ist mir angenehm gewor- den. Doch wer soll mein Weib und übrigen kleinen Kinder versorgen? -- Jch will noch eine Zeitlang leben, aber meine Freude soll in be- ständiger Enthaltung von allem, was dem Men- schen lieb ist, bestehen!"
So spricht die Stimme der Natur aus einem uncultivirten Menschen! und wer sollte es glau- ben, daß selbst diese so nachdrückliche Stimme doch zuweilen in dem Herzen des gebildeten Euro- päers übertäubt werden könnte? Und doch ist es so.
Stößt nicht der Geiz manches unmenschlichen Vaters sein eignes Kind von sich zurück, weil es seinen Goldklumpen vermindert? Machte nicht Manchen die Spielsucht taub gegen das Flehn seiner verlaßnen Kinder, hart gegen ihre Thränen, gefühllos gegen ihr Elend. Hat nicht die Herrsch- sucht schon Söhne und Töchter gemordet? schämt sich nicht manche eitle Mutter ihres Kindes, weil ihm die Natur einen schönen Körper versagte? und haßt nicht manche unnatürliche Coquette ihre Tochter und ihren Sohn, weil sie ihre Jahre verrathen? --
O
Nn
iſt nun aus! — Wenn ich an dich denke, ſo brauſet mein Eingeweide. — Ach! daß ich wei- nen koͤnnte, wie ihr Andern, ſo koͤnnte ich doch meinen Schmerz mildern! Was ſoll ich mir nun wuͤnſchen? Der Tod iſt mir angenehm gewor- den. Doch wer ſoll mein Weib und uͤbrigen kleinen Kinder verſorgen? — Jch will noch eine Zeitlang leben, aber meine Freude ſoll in be- ſtaͤndiger Enthaltung von allem, was dem Men- ſchen lieb iſt, beſtehen!„
So ſpricht die Stimme der Natur aus einem uncultivirten Menſchen! und wer ſollte es glau- ben, daß ſelbſt dieſe ſo nachdruͤckliche Stimme doch zuweilen in dem Herzen des gebildeten Euro- paͤers uͤbertaͤubt werden koͤnnte? Und doch iſt es ſo.
Stoͤßt nicht der Geiz manches unmenſchlichen Vaters ſein eignes Kind von ſich zuruͤck, weil es ſeinen Goldklumpen vermindert? Machte nicht Manchen die Spielſucht taub gegen das Flehn ſeiner verlaßnen Kinder, hart gegen ihre Thraͤnen, gefuͤhllos gegen ihr Elend. Hat nicht die Herrſch- ſucht ſchon Soͤhne und Toͤchter gemordet? ſchaͤmt ſich nicht manche eitle Mutter ihres Kindes, weil ihm die Natur einen ſchoͤnen Koͤrper verſagte? und haßt nicht manche unnatuͤrliche Coquette ihre Tochter und ihren Sohn, weil ſie ihre Jahre verrathen? —
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iſt nun aus! — Wenn ich an dich denke, ſo
brauſet mein Eingeweide. — Ach! daß ich wei-
nen koͤnnte, wie ihr Andern, ſo koͤnnte ich doch
meinen Schmerz mildern! Was ſoll ich mir nun
wuͤnſchen? Der Tod iſt mir angenehm gewor-
den. Doch wer ſoll mein Weib und uͤbrigen
kleinen Kinder verſorgen? — Jch will noch
eine Zeitlang leben, aber meine Freude ſoll in be-
ſtaͤndiger Enthaltung von allem, was dem Men-
ſchen lieb iſt, beſtehen!„
So ſpricht die Stimme der Natur aus einem
uncultivirten Menſchen! und wer ſollte es glau-
ben, daß ſelbſt dieſe ſo nachdruͤckliche Stimme
doch zuweilen in dem Herzen des gebildeten Euro-
paͤers uͤbertaͤubt werden koͤnnte? Und doch iſt
es ſo.
Stoͤßt nicht der Geiz manches unmenſchlichen
Vaters ſein eignes Kind von ſich zuruͤck, weil es
ſeinen Goldklumpen vermindert? Machte nicht
Manchen die Spielſucht taub gegen das Flehn
ſeiner verlaßnen Kinder, hart gegen ihre Thraͤnen,
gefuͤhllos gegen ihr Elend. Hat nicht die Herrſch-
ſucht ſchon Soͤhne und Toͤchter gemordet? ſchaͤmt
ſich nicht manche eitle Mutter ihres Kindes, weil
ihm die Natur einen ſchoͤnen Koͤrper verſagte? und
haßt nicht manche unnatuͤrliche Coquette ihre
Tochter und ihren Sohn, weil ſie ihre Jahre
verrathen? —
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/277>, abgerufen am 22.11.2024.
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