Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

und also eine von der Vernunft nicht legitimirte
Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.

Der edle, natürliche, menschliche Mensch
kann nicht hassen. Es giebt indeß einen Haß,
welcher von der Vernunft in dem Menschen ge-
billigt zu werden scheint, den Haß der Tugend
gegen das Laster. -- Dieser Haß der Tugend
gegen das Laster scheint nicht nur die Billigung
der Vernunft zu verdienen, sondern verdient sie
wirklich. Denn es ist erstes Gesetz der Tugend,
das Laster zu zerstören. Aber der Haß des Tu-
gendhaften
gegen den Lasterhaften ist demohn-
erachtet eben so unvernünftig und unmenschlich,
als jede andre Art des Hasses. Verabscheuen
kannst du und mußt du das Laster in dem Lasterhaf-
ten, aber diesen nicht hassen.

Wenn jemand, der es heimlich fühlt, daß
er Haß im Herzen hat, sich nach den hier hinge-
worfenen Zügen prüfen, und, weil er sie vielleicht
nicht in der Stärke in sich selbst anträfe, meynen
sollte, er könne sich nun vom Hasse freysprechen:
so hüte er sich ja, daß er nicht zu übereilt dies
Urtheil fälle, und erforsche sich, ob nicht ein
Geist in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur-
sachen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben so
abscheuliche Aeußerungen ausbrechen könnte.
Was äußere Gesetze des Wohlstandes und der
Gerechtigkeit, was einschränkende Obermacht be-

wirken,

und alſo eine von der Vernunft nicht legitimirte
Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.

Der edle, natuͤrliche, menſchliche Menſch
kann nicht haſſen. Es giebt indeß einen Haß,
welcher von der Vernunft in dem Menſchen ge-
billigt zu werden ſcheint, den Haß der Tugend
gegen das Laſter. — Dieſer Haß der Tugend
gegen das Laſter ſcheint nicht nur die Billigung
der Vernunft zu verdienen, ſondern verdient ſie
wirklich. Denn es iſt erſtes Geſetz der Tugend,
das Laſter zu zerſtoͤren. Aber der Haß des Tu-
gendhaften
gegen den Laſterhaften iſt demohn-
erachtet eben ſo unvernuͤnftig und unmenſchlich,
als jede andre Art des Haſſes. Verabſcheuen
kannſt du und mußt du das Laſter in dem Laſterhaf-
ten, aber dieſen nicht haſſen.

Wenn jemand, der es heimlich fuͤhlt, daß
er Haß im Herzen hat, ſich nach den hier hinge-
worfenen Zuͤgen pruͤfen, und, weil er ſie vielleicht
nicht in der Staͤrke in ſich ſelbſt antraͤfe, meynen
ſollte, er koͤnne ſich nun vom Haſſe freyſprechen:
ſo huͤte er ſich ja, daß er nicht zu uͤbereilt dies
Urtheil faͤlle, und erforſche ſich, ob nicht ein
Geiſt in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur-
ſachen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben ſo
abſcheuliche Aeußerungen ausbrechen koͤnnte.
Was aͤußere Geſetze des Wohlſtandes und der
Gerechtigkeit, was einſchraͤnkende Obermacht be-

wirken,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0288" n="572"/>
und al&#x017F;o eine von der Vernunft nicht legitimirte<lb/>
Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.</p><lb/>
        <p>Der edle, natu&#x0364;rliche, men&#x017F;chliche Men&#x017F;ch<lb/>
kann nicht ha&#x017F;&#x017F;en. Es giebt indeß einen Haß,<lb/>
welcher von der Vernunft in dem Men&#x017F;chen ge-<lb/>
billigt zu werden &#x017F;cheint, den Haß der Tugend<lb/>
gegen das La&#x017F;ter. &#x2014; Die&#x017F;er Haß der <hi rendition="#b">Tugend</hi><lb/>
gegen das <hi rendition="#b">La&#x017F;ter &#x017F;cheint</hi> nicht nur die Billigung<lb/>
der Vernunft zu verdienen, &#x017F;ondern verdient &#x017F;ie<lb/>
wirklich. Denn es i&#x017F;t er&#x017F;tes Ge&#x017F;etz der Tugend,<lb/>
das La&#x017F;ter zu zer&#x017F;to&#x0364;ren. Aber der Haß des <hi rendition="#b">Tu-<lb/>
gendhaften</hi> gegen den <hi rendition="#b">La&#x017F;terhaften</hi> i&#x017F;t demohn-<lb/>
erachtet eben &#x017F;o unvernu&#x0364;nftig und unmen&#x017F;chlich,<lb/>
als jede andre Art des Ha&#x017F;&#x017F;es. <hi rendition="#b">Verab&#x017F;cheuen</hi><lb/>
kann&#x017F;t du und mußt du das La&#x017F;ter in dem La&#x017F;terhaf-<lb/>
ten, aber <hi rendition="#b">die&#x017F;en</hi> nicht ha&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Wenn jemand, der es heimlich fu&#x0364;hlt, daß<lb/>
er Haß im Herzen hat, &#x017F;ich nach den hier hinge-<lb/>
worfenen Zu&#x0364;gen pru&#x0364;fen, und, weil er &#x017F;ie vielleicht<lb/>
nicht in der Sta&#x0364;rke in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t antra&#x0364;fe, meynen<lb/>
&#x017F;ollte, er ko&#x0364;nne &#x017F;ich nun vom Ha&#x017F;&#x017F;e frey&#x017F;prechen:<lb/>
&#x017F;o hu&#x0364;te er &#x017F;ich ja, daß er nicht zu u&#x0364;bereilt dies<lb/>
Urtheil fa&#x0364;lle, und erfor&#x017F;che &#x017F;ich, ob nicht ein<lb/><hi rendition="#b">Gei&#x017F;t</hi> in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur-<lb/>
&#x017F;achen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben &#x017F;o<lb/>
ab&#x017F;cheuliche Aeußerungen ausbrechen ko&#x0364;nnte.<lb/>
Was a&#x0364;ußere Ge&#x017F;etze des Wohl&#x017F;tandes und der<lb/>
Gerechtigkeit, was ein&#x017F;chra&#x0364;nkende Obermacht be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wirken,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[572/0288] und alſo eine von der Vernunft nicht legitimirte Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn. Der edle, natuͤrliche, menſchliche Menſch kann nicht haſſen. Es giebt indeß einen Haß, welcher von der Vernunft in dem Menſchen ge- billigt zu werden ſcheint, den Haß der Tugend gegen das Laſter. — Dieſer Haß der Tugend gegen das Laſter ſcheint nicht nur die Billigung der Vernunft zu verdienen, ſondern verdient ſie wirklich. Denn es iſt erſtes Geſetz der Tugend, das Laſter zu zerſtoͤren. Aber der Haß des Tu- gendhaften gegen den Laſterhaften iſt demohn- erachtet eben ſo unvernuͤnftig und unmenſchlich, als jede andre Art des Haſſes. Verabſcheuen kannſt du und mußt du das Laſter in dem Laſterhaf- ten, aber dieſen nicht haſſen. Wenn jemand, der es heimlich fuͤhlt, daß er Haß im Herzen hat, ſich nach den hier hinge- worfenen Zuͤgen pruͤfen, und, weil er ſie vielleicht nicht in der Staͤrke in ſich ſelbſt antraͤfe, meynen ſollte, er koͤnne ſich nun vom Haſſe freyſprechen: ſo huͤte er ſich ja, daß er nicht zu uͤbereilt dies Urtheil faͤlle, und erforſche ſich, ob nicht ein Geiſt in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur- ſachen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben ſo abſcheuliche Aeußerungen ausbrechen koͤnnte. Was aͤußere Geſetze des Wohlſtandes und der Gerechtigkeit, was einſchraͤnkende Obermacht be- wirken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/288
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/288>, abgerufen am 22.11.2024.