und also eine von der Vernunft nicht legitimirte Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.
Der edle, natürliche, menschliche Mensch kann nicht hassen. Es giebt indeß einen Haß, welcher von der Vernunft in dem Menschen ge- billigt zu werden scheint, den Haß der Tugend gegen das Laster. -- Dieser Haß der Tugend gegen das Laster scheint nicht nur die Billigung der Vernunft zu verdienen, sondern verdient sie wirklich. Denn es ist erstes Gesetz der Tugend, das Laster zu zerstören. Aber der Haß des Tu- gendhaften gegen den Lasterhaften ist demohn- erachtet eben so unvernünftig und unmenschlich, als jede andre Art des Hasses. Verabscheuen kannst du und mußt du das Laster in dem Lasterhaf- ten, aber diesen nicht hassen.
Wenn jemand, der es heimlich fühlt, daß er Haß im Herzen hat, sich nach den hier hinge- worfenen Zügen prüfen, und, weil er sie vielleicht nicht in der Stärke in sich selbst anträfe, meynen sollte, er könne sich nun vom Hasse freysprechen: so hüte er sich ja, daß er nicht zu übereilt dies Urtheil fälle, und erforsche sich, ob nicht ein Geist in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur- sachen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben so abscheuliche Aeußerungen ausbrechen könnte. Was äußere Gesetze des Wohlstandes und der Gerechtigkeit, was einschränkende Obermacht be-
wirken,
und alſo eine von der Vernunft nicht legitimirte Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.
Der edle, natuͤrliche, menſchliche Menſch kann nicht haſſen. Es giebt indeß einen Haß, welcher von der Vernunft in dem Menſchen ge- billigt zu werden ſcheint, den Haß der Tugend gegen das Laſter. — Dieſer Haß der Tugend gegen das Laſter ſcheint nicht nur die Billigung der Vernunft zu verdienen, ſondern verdient ſie wirklich. Denn es iſt erſtes Geſetz der Tugend, das Laſter zu zerſtoͤren. Aber der Haß des Tu- gendhaften gegen den Laſterhaften iſt demohn- erachtet eben ſo unvernuͤnftig und unmenſchlich, als jede andre Art des Haſſes. Verabſcheuen kannſt du und mußt du das Laſter in dem Laſterhaf- ten, aber dieſen nicht haſſen.
Wenn jemand, der es heimlich fuͤhlt, daß er Haß im Herzen hat, ſich nach den hier hinge- worfenen Zuͤgen pruͤfen, und, weil er ſie vielleicht nicht in der Staͤrke in ſich ſelbſt antraͤfe, meynen ſollte, er koͤnne ſich nun vom Haſſe freyſprechen: ſo huͤte er ſich ja, daß er nicht zu uͤbereilt dies Urtheil faͤlle, und erforſche ſich, ob nicht ein Geiſt in ihm wohne, der, wenn nicht andre Ur- ſachen ihm entgegenwirkten, vielleicht in eben ſo abſcheuliche Aeußerungen ausbrechen koͤnnte. Was aͤußere Geſetze des Wohlſtandes und der Gerechtigkeit, was einſchraͤnkende Obermacht be-
wirken,
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und alſo eine von der Vernunft nicht legitimirte
Geburt der Sinnlichkeit war, erzeugte ihn.
Der edle, natuͤrliche, menſchliche Menſch
kann nicht haſſen. Es giebt indeß einen Haß,
welcher von der Vernunft in dem Menſchen ge-
billigt zu werden ſcheint, den Haß der Tugend
gegen das Laſter. — Dieſer Haß der Tugend
gegen das Laſter ſcheint nicht nur die Billigung
der Vernunft zu verdienen, ſondern verdient ſie
wirklich. Denn es iſt erſtes Geſetz der Tugend,
das Laſter zu zerſtoͤren. Aber der Haß des Tu-
gendhaften gegen den Laſterhaften iſt demohn-
erachtet eben ſo unvernuͤnftig und unmenſchlich,
als jede andre Art des Haſſes. Verabſcheuen
kannſt du und mußt du das Laſter in dem Laſterhaf-
ten, aber dieſen nicht haſſen.
Wenn jemand, der es heimlich fuͤhlt, daß
er Haß im Herzen hat, ſich nach den hier hinge-
worfenen Zuͤgen pruͤfen, und, weil er ſie vielleicht
nicht in der Staͤrke in ſich ſelbſt antraͤfe, meynen
ſollte, er koͤnne ſich nun vom Haſſe freyſprechen:
ſo huͤte er ſich ja, daß er nicht zu uͤbereilt dies
Urtheil faͤlle, und erforſche ſich, ob nicht ein
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/288>, abgerufen am 22.11.2024.
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