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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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Uebel, was er sich vorstellen konnte, vor seinen
Augen war.

Werther hatte keinen andern Lebensgenuß
als in Lottens Liebe. Sie ward eines Andern:
und ihm keine Hofnung sie je zu besitzen. Drum
entschloß er sich ein Leben zu enden, in welchem
er nur Tage sah, die das schmerzvolle Gefühl sei-
ner grundlosen Hofnung trübte.

Romeo erfährt, daß seine Julie gestorben
sey, das einzige Glück seines Lebens. Er geht in
ihre Gruft, und findet sie im Sarge; in welchen
sie auf Veranstaltung des Freundes ihrer Liebe,
des Paters Lorenzo, obgleich nur durch einen
Trank auf einige Zeit eingeschläfert, gelegt war.
Romeo sieht nun, da Julie in seinen Augen
todt ist, keine Ruhe, kein Glück, keine Freude
im Leben.

"O, spricht er, hier, in diesem Pallast der
düstern Nacht, will ich eine immerwährende
Ruhe finden, und das Joch der unglücklichen
Gestirne von diesem der Welt müden Fleisch ab-
schütteln. Jhr Augen, seht zum letztenmal! ihr
Arme, nehmt eure letzte Umarmung! und ihr
meine Lippen, die Thüren des Athems, versiegelt
mit einem rechtmäßigen Kusse dem wuchernden
Tod, eine immerwährende Verschreibung! --
Komm, bittrer Führer! komm unangenehmer
Wegweiser! Du verzweifelnder Steuermann,
lauf'

Uebel, was er ſich vorſtellen konnte, vor ſeinen
Augen war.

Werther hatte keinen andern Lebensgenuß
als in Lottens Liebe. Sie ward eines Andern:
und ihm keine Hofnung ſie je zu beſitzen. Drum
entſchloß er ſich ein Leben zu enden, in welchem
er nur Tage ſah, die das ſchmerzvolle Gefuͤhl ſei-
ner grundloſen Hofnung truͤbte.

Romeo erfaͤhrt, daß ſeine Julie geſtorben
ſey, das einzige Gluͤck ſeines Lebens. Er geht in
ihre Gruft, und findet ſie im Sarge; in welchen
ſie auf Veranſtaltung des Freundes ihrer Liebe,
des Paters Lorenzo, obgleich nur durch einen
Trank auf einige Zeit eingeſchlaͤfert, gelegt war.
Romeo ſieht nun, da Julie in ſeinen Augen
todt iſt, keine Ruhe, kein Gluͤck, keine Freude
im Leben.

„O, ſpricht er, hier, in dieſem Pallaſt der
duͤſtern Nacht, will ich eine immerwaͤhrende
Ruhe finden, und das Joch der ungluͤcklichen
Geſtirne von dieſem der Welt muͤden Fleiſch ab-
ſchuͤtteln. Jhr Augen, ſeht zum letztenmal! ihr
Arme, nehmt eure letzte Umarmung! und ihr
meine Lippen, die Thuͤren des Athems, verſiegelt
mit einem rechtmaͤßigen Kuſſe dem wuchernden
Tod, eine immerwaͤhrende Verſchreibung! —
Komm, bittrer Fuͤhrer! komm unangenehmer
Wegweiſer! Du verzweifelnder Steuermann,
lauf'
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[314/0030] Uebel, was er ſich vorſtellen konnte, vor ſeinen Augen war. Werther hatte keinen andern Lebensgenuß als in Lottens Liebe. Sie ward eines Andern: und ihm keine Hofnung ſie je zu beſitzen. Drum entſchloß er ſich ein Leben zu enden, in welchem er nur Tage ſah, die das ſchmerzvolle Gefuͤhl ſei- ner grundloſen Hofnung truͤbte. Romeo erfaͤhrt, daß ſeine Julie geſtorben ſey, das einzige Gluͤck ſeines Lebens. Er geht in ihre Gruft, und findet ſie im Sarge; in welchen ſie auf Veranſtaltung des Freundes ihrer Liebe, des Paters Lorenzo, obgleich nur durch einen Trank auf einige Zeit eingeſchlaͤfert, gelegt war. Romeo ſieht nun, da Julie in ſeinen Augen todt iſt, keine Ruhe, kein Gluͤck, keine Freude im Leben. „O, ſpricht er, hier, in dieſem Pallaſt der duͤſtern Nacht, will ich eine immerwaͤhrende Ruhe finden, und das Joch der ungluͤcklichen Geſtirne von dieſem der Welt muͤden Fleiſch ab- ſchuͤtteln. Jhr Augen, ſeht zum letztenmal! ihr Arme, nehmt eure letzte Umarmung! und ihr meine Lippen, die Thuͤren des Athems, verſiegelt mit einem rechtmaͤßigen Kuſſe dem wuchernden Tod, eine immerwaͤhrende Verſchreibung! — Komm, bittrer Fuͤhrer! komm unangenehmer Wegweiſer! Du verzweifelnder Steuermann, lauf'

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/30>, abgerufen am 21.11.2024.