Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

alles andre, nur seine Traurigkeit ausgenommen.
Das Blut sinkt von der Wange zum Herzen hinun-
ter, sein Haupt senkt sich, das Feuer seiner Augen
verlischt, der Athem wird kurz und bricht sich
zuweilen in Seufzer, alle Bewegungen gehen
langsam von statten, sein Gang ist schlaff, ge-
hindert, am Boden fortschleichend; seine liebsten
Wünsche vergißt er, die angenehmsten Unterhal-
tungen werden ihm gleichgültig; sein zur Erde
oder auf den Gegenstand seiner Traurigkeit gehef-
tetes Auge merkt nicht auf das, worauf es sich
sonst mit angestrengter Aufmerksamkeit richtete.
Er glaubt, daß für ihn, weil er nur sich und sein
Gefühl im Bewußtseyn hat, auf Erden und un-
ter den Menschen keine Freude, kein Glück, keine
Hofnung mehr sey.

Thränen schwemmen einen Theil seiner Angst
hinweg, indem sie wenigstens die körperlichen Em-
pfindungen mildern. Denn die Bewegungen,
durch welche die Thränen aus ihren Drüsen her-
ausgepreßt werden, treiben das Blut, welches
bey dem trägen Umlauf durch den Körper sich vor
dem Herzen anhäuft, durch die Lungen, und
machen die Circulation desselben durch den ganzen
Körper leichter und rascher*).

Rührt die Traurigkeit von einem Gegenstan-
de her, durch den man vorher viel Freude genossen,

oder
*) Zückert v. den Leidenschaften, S. 49.

alles andre, nur ſeine Traurigkeit ausgenommen.
Das Blut ſinkt von der Wange zum Herzen hinun-
ter, ſein Haupt ſenkt ſich, das Feuer ſeiner Augen
verliſcht, der Athem wird kurz und bricht ſich
zuweilen in Seufzer, alle Bewegungen gehen
langſam von ſtatten, ſein Gang iſt ſchlaff, ge-
hindert, am Boden fortſchleichend; ſeine liebſten
Wuͤnſche vergißt er, die angenehmſten Unterhal-
tungen werden ihm gleichguͤltig; ſein zur Erde
oder auf den Gegenſtand ſeiner Traurigkeit gehef-
tetes Auge merkt nicht auf das, worauf es ſich
ſonſt mit angeſtrengter Aufmerkſamkeit richtete.
Er glaubt, daß fuͤr ihn, weil er nur ſich und ſein
Gefuͤhl im Bewußtſeyn hat, auf Erden und un-
ter den Menſchen keine Freude, kein Gluͤck, keine
Hofnung mehr ſey.

Thraͤnen ſchwemmen einen Theil ſeiner Angſt
hinweg, indem ſie wenigſtens die koͤrperlichen Em-
pfindungen mildern. Denn die Bewegungen,
durch welche die Thraͤnen aus ihren Druͤſen her-
ausgepreßt werden, treiben das Blut, welches
bey dem traͤgen Umlauf durch den Koͤrper ſich vor
dem Herzen anhaͤuft, durch die Lungen, und
machen die Circulation deſſelben durch den ganzen
Koͤrper leichter und raſcher*).

Ruͤhrt die Traurigkeit von einem Gegenſtan-
de her, durch den man vorher viel Freude genoſſen,

oder
*) Zuͤckert v. den Leidenſchaften, S. 49.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0322" n="606"/>
alles andre, nur &#x017F;eine Traurigkeit ausgenommen.<lb/>
Das Blut &#x017F;inkt von der Wange zum Herzen hinun-<lb/>
ter, &#x017F;ein Haupt &#x017F;enkt &#x017F;ich, das Feuer &#x017F;einer Augen<lb/>
verli&#x017F;cht, der Athem wird kurz und bricht &#x017F;ich<lb/>
zuweilen in Seufzer, alle Bewegungen gehen<lb/>
lang&#x017F;am von &#x017F;tatten, &#x017F;ein Gang i&#x017F;t &#x017F;chlaff, ge-<lb/>
hindert, am Boden fort&#x017F;chleichend; &#x017F;eine lieb&#x017F;ten<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che vergißt er, die angenehm&#x017F;ten Unterhal-<lb/>
tungen werden ihm gleichgu&#x0364;ltig; &#x017F;ein zur Erde<lb/>
oder auf den Gegen&#x017F;tand &#x017F;einer Traurigkeit gehef-<lb/>
tetes Auge merkt nicht auf das, worauf es &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t mit ange&#x017F;trengter Aufmerk&#x017F;amkeit richtete.<lb/>
Er glaubt, daß fu&#x0364;r ihn, weil er nur &#x017F;ich und &#x017F;ein<lb/>
Gefu&#x0364;hl im Bewußt&#x017F;eyn hat, auf Erden und un-<lb/>
ter den Men&#x017F;chen keine Freude, kein Glu&#x0364;ck, keine<lb/>
Hofnung mehr &#x017F;ey.</p><lb/>
        <p>Thra&#x0364;nen &#x017F;chwemmen einen Theil &#x017F;einer Ang&#x017F;t<lb/>
hinweg, indem &#x017F;ie wenig&#x017F;tens die ko&#x0364;rperlichen Em-<lb/>
pfindungen mildern. Denn die Bewegungen,<lb/>
durch welche die Thra&#x0364;nen aus ihren Dru&#x0364;&#x017F;en her-<lb/>
ausgepreßt werden, treiben das Blut, welches<lb/>
bey dem tra&#x0364;gen Umlauf durch den Ko&#x0364;rper &#x017F;ich vor<lb/>
dem Herzen anha&#x0364;uft, durch die Lungen, und<lb/>
machen die Circulation de&#x017F;&#x017F;elben durch den ganzen<lb/>
Ko&#x0364;rper leichter und ra&#x017F;cher<note place="foot" n="*)">Zu&#x0364;ckert v. den Leiden&#x017F;chaften, S. 49.</note>.</p><lb/>
        <p>Ru&#x0364;hrt die Traurigkeit von einem Gegen&#x017F;tan-<lb/>
de her, durch den man vorher viel Freude geno&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[606/0322] alles andre, nur ſeine Traurigkeit ausgenommen. Das Blut ſinkt von der Wange zum Herzen hinun- ter, ſein Haupt ſenkt ſich, das Feuer ſeiner Augen verliſcht, der Athem wird kurz und bricht ſich zuweilen in Seufzer, alle Bewegungen gehen langſam von ſtatten, ſein Gang iſt ſchlaff, ge- hindert, am Boden fortſchleichend; ſeine liebſten Wuͤnſche vergißt er, die angenehmſten Unterhal- tungen werden ihm gleichguͤltig; ſein zur Erde oder auf den Gegenſtand ſeiner Traurigkeit gehef- tetes Auge merkt nicht auf das, worauf es ſich ſonſt mit angeſtrengter Aufmerkſamkeit richtete. Er glaubt, daß fuͤr ihn, weil er nur ſich und ſein Gefuͤhl im Bewußtſeyn hat, auf Erden und un- ter den Menſchen keine Freude, kein Gluͤck, keine Hofnung mehr ſey. Thraͤnen ſchwemmen einen Theil ſeiner Angſt hinweg, indem ſie wenigſtens die koͤrperlichen Em- pfindungen mildern. Denn die Bewegungen, durch welche die Thraͤnen aus ihren Druͤſen her- ausgepreßt werden, treiben das Blut, welches bey dem traͤgen Umlauf durch den Koͤrper ſich vor dem Herzen anhaͤuft, durch die Lungen, und machen die Circulation deſſelben durch den ganzen Koͤrper leichter und raſcher *). Ruͤhrt die Traurigkeit von einem Gegenſtan- de her, durch den man vorher viel Freude genoſſen, oder *) Zuͤckert v. den Leidenſchaften, S. 49.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/322
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 606. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/322>, abgerufen am 22.11.2024.