gelaufene Gesicht und verstohlne Zuckungen um die Gegend des Mundes und der Augen zu erken- nen. Sie regen alle unangenehme Affekten auf, aber keiner derselben kann ganz zur Reife kommen: der heftige Kampf Eines gegen den Andern ist die Ursach ihrer gewaltsamen, zerstörenden Wir- kungen.
Verdruß ist der Affekt aus einer Begebenheit, von der man herzlich wünscht, sie wäre nicht ge- schehen. Verdruß macht der Geschäftsträger sei- nem Herrn, wenn er statt auf die gute Führung des Geschäfts bedacht zu seyn, etwas thut oder unterläßt, wodurch das Geschäft aufgehalten oder zerstört wird. Verdruß macht der Mündel sei- nem Vormund, wenn dieser, statt gute Nachrich- ten von jenem zu hören, erfährt, daß er ökono- mische, politische, moralische Sünden begeht. Verdruß macht die Magd ihrer Gebieterin, wenn sie eine Gesellschaft, die sie auf morgen einladen sollte, für heute bestellt, die Schaale, welche auf der Tafel glänzen sollte, zerschmeißt, und den Kuchen, durch den man sich auszeichnen woll- te, verbrennt.
Aergerniß ist Verdruß aus dem Gefühl des Mangels an Kraft, sich gegen den, der uns ge- demüthigt hat, zu heben. Aergerniß empfindet die stolze Bürgerin, wenn in einer adlichen Ge- sellschaft die Damen von Familie über ihre Bür-
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gelaufene Geſicht und verſtohlne Zuckungen um die Gegend des Mundes und der Augen zu erken- nen. Sie regen alle unangenehme Affekten auf, aber keiner derſelben kann ganz zur Reife kommen: der heftige Kampf Eines gegen den Andern iſt die Urſach ihrer gewaltſamen, zerſtoͤrenden Wir- kungen.
Verdruß iſt der Affekt aus einer Begebenheit, von der man herzlich wuͤnſcht, ſie waͤre nicht ge- ſchehen. Verdruß macht der Geſchaͤftstraͤger ſei- nem Herrn, wenn er ſtatt auf die gute Fuͤhrung des Geſchaͤfts bedacht zu ſeyn, etwas thut oder unterlaͤßt, wodurch das Geſchaͤft aufgehalten oder zerſtoͤrt wird. Verdruß macht der Muͤndel ſei- nem Vormund, wenn dieſer, ſtatt gute Nachrich- ten von jenem zu hoͤren, erfaͤhrt, daß er oͤkono- miſche, politiſche, moraliſche Suͤnden begeht. Verdruß macht die Magd ihrer Gebieterin, wenn ſie eine Geſellſchaft, die ſie auf morgen einladen ſollte, fuͤr heute beſtellt, die Schaale, welche auf der Tafel glaͤnzen ſollte, zerſchmeißt, und den Kuchen, durch den man ſich auszeichnen woll- te, verbrennt.
Aergerniß iſt Verdruß aus dem Gefuͤhl des Mangels an Kraft, ſich gegen den, der uns ge- demuͤthigt hat, zu heben. Aergerniß empfindet die ſtolze Buͤrgerin, wenn in einer adlichen Ge- ſellſchaft die Damen von Familie uͤber ihre Buͤr-
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gelaufene Geſicht und verſtohlne Zuckungen um
die Gegend des Mundes und der Augen zu erken-
nen. Sie regen alle unangenehme Affekten auf,
aber keiner derſelben kann ganz zur Reife kommen:
der heftige Kampf Eines gegen den Andern iſt die
Urſach ihrer gewaltſamen, zerſtoͤrenden Wir-
kungen.
Verdruß iſt der Affekt aus einer Begebenheit,
von der man herzlich wuͤnſcht, ſie waͤre nicht ge-
ſchehen. Verdruß macht der Geſchaͤftstraͤger ſei-
nem Herrn, wenn er ſtatt auf die gute Fuͤhrung
des Geſchaͤfts bedacht zu ſeyn, etwas thut oder
unterlaͤßt, wodurch das Geſchaͤft aufgehalten oder
zerſtoͤrt wird. Verdruß macht der Muͤndel ſei-
nem Vormund, wenn dieſer, ſtatt gute Nachrich-
ten von jenem zu hoͤren, erfaͤhrt, daß er oͤkono-
miſche, politiſche, moraliſche Suͤnden begeht.
Verdruß macht die Magd ihrer Gebieterin, wenn
ſie eine Geſellſchaft, die ſie auf morgen einladen
ſollte, fuͤr heute beſtellt, die Schaale, welche
auf der Tafel glaͤnzen ſollte, zerſchmeißt, und
den Kuchen, durch den man ſich auszeichnen woll-
te, verbrennt.
Aergerniß iſt Verdruß aus dem Gefuͤhl des
Mangels an Kraft, ſich gegen den, der uns ge-
demuͤthigt hat, zu heben. Aergerniß empfindet
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 626. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/342>, abgerufen am 22.11.2024.
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