wird, mit großer und stolzer Freude den Schei- terhaufen besteigt.
So kann auch endlich der Schwärmer, wel- cher den Himmel vor sich geöfnet sieht, und von den Seligkeiten jenseit des Lebens gewisse Ueber- zeugung hat, wohl dazu kommen, sein irdisches Leben diesem himmlischen aufzuopfern. Die Welt ist ihm ohnedies verhaßt, weil er sich in die Ver- hältnisse derselben nicht fügen kann: nimmt ihm nun seine brennende Phantasie den Schleyer der Ungewißheit von dem Zustande nach dem Tode hin- weg, und zeigt sie ihm diesen, so ganz seinen Nei- gungen, Trieben und Wünschen angemessen, so wird er leicht bewegt werden können, seinen itzigen Zustand mit dem angenehmern zu vertauschen.
Aber wenn gleich, wie eben gezeigt ist, die Liebe zum Leben so tief daniedergedrückt werden kann, daß der Mensch zur Vernichtung desselben bewegt wird; so ist doch dieses so leicht nicht.
Lang und hartnäckig ist der Kampf zwischen der Liebe zum Leben und dem Entschluß es zu ver- nichten: es werden alle Zweifel, die dem Ent- schluß zuwider sind, ängstlich aufgesucht, es wird überlegt, besonnen, widersprochen -- Angst und Zittern bemächtigt sich des Herzens, und die wider die Natur gemachte Verrätherey verräth sich in den fürchterlichen Minen, Geberden und Augen. Die That wird von einem Moment
zum
X
wird, mit großer und ſtolzer Freude den Schei- terhaufen beſteigt.
So kann auch endlich der Schwaͤrmer, wel- cher den Himmel vor ſich geoͤfnet ſieht, und von den Seligkeiten jenſeit des Lebens gewiſſe Ueber- zeugung hat, wohl dazu kommen, ſein irdiſches Leben dieſem himmliſchen aufzuopfern. Die Welt iſt ihm ohnedies verhaßt, weil er ſich in die Ver- haͤltniſſe derſelben nicht fuͤgen kann: nimmt ihm nun ſeine brennende Phantaſie den Schleyer der Ungewißheit von dem Zuſtande nach dem Tode hin- weg, und zeigt ſie ihm dieſen, ſo ganz ſeinen Nei- gungen, Trieben und Wuͤnſchen angemeſſen, ſo wird er leicht bewegt werden koͤnnen, ſeinen itzigen Zuſtand mit dem angenehmern zu vertauſchen.
Aber wenn gleich, wie eben gezeigt iſt, die Liebe zum Leben ſo tief daniedergedruͤckt werden kann, daß der Menſch zur Vernichtung deſſelben bewegt wird; ſo iſt doch dieſes ſo leicht nicht.
Lang und hartnaͤckig iſt der Kampf zwiſchen der Liebe zum Leben und dem Entſchluß es zu ver- nichten: es werden alle Zweifel, die dem Ent- ſchluß zuwider ſind, aͤngſtlich aufgeſucht, es wird uͤberlegt, beſonnen, widerſprochen — Angſt und Zittern bemaͤchtigt ſich des Herzens, und die wider die Natur gemachte Verraͤtherey verraͤth ſich in den fuͤrchterlichen Minen, Geberden und Augen. Die That wird von einem Moment
zum
X
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0037"n="321"/>
wird, mit großer und ſtolzer Freude den Schei-<lb/>
terhaufen beſteigt.</p><lb/><p>So kann auch endlich der <hirendition="#b">Schwaͤrmer</hi>, wel-<lb/>
cher den Himmel vor ſich geoͤfnet ſieht, und von<lb/>
den Seligkeiten jenſeit des Lebens gewiſſe Ueber-<lb/>
zeugung hat, wohl dazu kommen, ſein irdiſches<lb/>
Leben dieſem himmliſchen aufzuopfern. Die Welt<lb/>
iſt ihm ohnedies verhaßt, weil er ſich in die Ver-<lb/>
haͤltniſſe derſelben nicht fuͤgen kann: nimmt ihm<lb/>
nun ſeine brennende Phantaſie den Schleyer der<lb/>
Ungewißheit von dem Zuſtande nach dem Tode hin-<lb/>
weg, und zeigt ſie ihm dieſen, ſo ganz ſeinen Nei-<lb/>
gungen, Trieben und Wuͤnſchen angemeſſen, ſo<lb/>
wird er leicht bewegt werden koͤnnen, ſeinen itzigen<lb/>
Zuſtand mit dem angenehmern zu vertauſchen.</p><lb/><p>Aber wenn gleich, wie eben gezeigt iſt, die<lb/>
Liebe zum Leben ſo tief daniedergedruͤckt werden<lb/><hirendition="#b">kann</hi>, daß der Menſch zur Vernichtung deſſelben<lb/>
bewegt wird; ſo iſt doch dieſes ſo leicht nicht.</p><lb/><p>Lang und hartnaͤckig iſt der Kampf zwiſchen<lb/>
der Liebe zum Leben und dem Entſchluß es zu ver-<lb/>
nichten: es werden alle Zweifel, die dem Ent-<lb/>ſchluß zuwider ſind, aͤngſtlich aufgeſucht, es wird<lb/>
uͤberlegt, beſonnen, widerſprochen — Angſt und<lb/>
Zittern bemaͤchtigt ſich des Herzens, und die<lb/>
wider die Natur gemachte Verraͤtherey verraͤth<lb/>ſich in den fuͤrchterlichen Minen, Geberden und<lb/>
Augen. Die That wird von einem Moment<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X</fw><fwplace="bottom"type="catch">zum</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[321/0037]
wird, mit großer und ſtolzer Freude den Schei-
terhaufen beſteigt.
So kann auch endlich der Schwaͤrmer, wel-
cher den Himmel vor ſich geoͤfnet ſieht, und von
den Seligkeiten jenſeit des Lebens gewiſſe Ueber-
zeugung hat, wohl dazu kommen, ſein irdiſches
Leben dieſem himmliſchen aufzuopfern. Die Welt
iſt ihm ohnedies verhaßt, weil er ſich in die Ver-
haͤltniſſe derſelben nicht fuͤgen kann: nimmt ihm
nun ſeine brennende Phantaſie den Schleyer der
Ungewißheit von dem Zuſtande nach dem Tode hin-
weg, und zeigt ſie ihm dieſen, ſo ganz ſeinen Nei-
gungen, Trieben und Wuͤnſchen angemeſſen, ſo
wird er leicht bewegt werden koͤnnen, ſeinen itzigen
Zuſtand mit dem angenehmern zu vertauſchen.
Aber wenn gleich, wie eben gezeigt iſt, die
Liebe zum Leben ſo tief daniedergedruͤckt werden
kann, daß der Menſch zur Vernichtung deſſelben
bewegt wird; ſo iſt doch dieſes ſo leicht nicht.
Lang und hartnaͤckig iſt der Kampf zwiſchen
der Liebe zum Leben und dem Entſchluß es zu ver-
nichten: es werden alle Zweifel, die dem Ent-
ſchluß zuwider ſind, aͤngſtlich aufgeſucht, es wird
uͤberlegt, beſonnen, widerſprochen — Angſt und
Zittern bemaͤchtigt ſich des Herzens, und die
wider die Natur gemachte Verraͤtherey verraͤth
ſich in den fuͤrchterlichen Minen, Geberden und
Augen. Die That wird von einem Moment
zum
X
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/37>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.