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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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sie auch auf der andern Seite andre Gefühle un-
terdrücken, und sich zur Alleinherrscherin des Be-
gehrungsvermögens machen.

Die unnatürlichsten, gräßlichsten Mittel wer-
den zuweilen gebraucht, um sich das Leben zu fri-
sten. Die Qual des Hungers und des Durstes
haben schon oft den Menschen verführt, die Dinge
zu genießen, vor denen er sonst schauderte, und selbst
Menschen zu schlachten, die aus seinem Blute
entsprungen waren. So manche Belagerungs-
geschichte liefert hievon schreckliche Beyspiele, und
unter rohen Nationen kommen die Fälle noch häu-
figer vor, weil bey diesen die groben sinnlichen
Empfindungen die größte Stärke haben, und die
feinen Gefühle des Herzens sehr schwach sind.
Bey den Wilden, die um die Hudsonsbay woh-
nen, soll, wie die Reisebeschreiber erzählen, zu-
weilen der Fall eintreten, daß Eltern ihre Kin-
der, Männer ihre Weiber, und Brüder ihre Ge-
schwister schlachten, um das Mark aus ihren
Knochen zu saugen. Jch habe, erzählt Jere-
mie
*), einen von diesen Wilden gesehen, welcher
mir sagte, er habe seine Frau und sechs Kinder
verzehrt, und sey nicht eher erweicht worden, als
bey dem letzten, welchen er aufgezehrt hatte, weil
er ihn am zärtlichsten liebte. Als er diesem den
Kopf geöfnet habe, um sein Gehirn zu verzehren,

sey
*) Jn den Voyages au Nord.

ſie auch auf der andern Seite andre Gefuͤhle un-
terdruͤcken, und ſich zur Alleinherrſcherin des Be-
gehrungsvermoͤgens machen.

Die unnatuͤrlichſten, graͤßlichſten Mittel wer-
den zuweilen gebraucht, um ſich das Leben zu fri-
ſten. Die Qual des Hungers und des Durſtes
haben ſchon oft den Menſchen verfuͤhrt, die Dinge
zu genießen, vor denen er ſonſt ſchauderte, und ſelbſt
Menſchen zu ſchlachten, die aus ſeinem Blute
entſprungen waren. So manche Belagerungs-
geſchichte liefert hievon ſchreckliche Beyſpiele, und
unter rohen Nationen kommen die Faͤlle noch haͤu-
figer vor, weil bey dieſen die groben ſinnlichen
Empfindungen die groͤßte Staͤrke haben, und die
feinen Gefuͤhle des Herzens ſehr ſchwach ſind.
Bey den Wilden, die um die Hudſonsbay woh-
nen, ſoll, wie die Reiſebeſchreiber erzaͤhlen, zu-
weilen der Fall eintreten, daß Eltern ihre Kin-
der, Maͤnner ihre Weiber, und Bruͤder ihre Ge-
ſchwiſter ſchlachten, um das Mark aus ihren
Knochen zu ſaugen. Jch habe, erzaͤhlt Jere-
mie
*), einen von dieſen Wilden geſehen, welcher
mir ſagte, er habe ſeine Frau und ſechs Kinder
verzehrt, und ſey nicht eher erweicht worden, als
bey dem letzten, welchen er aufgezehrt hatte, weil
er ihn am zaͤrtlichſten liebte. Als er dieſem den
Kopf geoͤfnet habe, um ſein Gehirn zu verzehren,

ſey
*) Jn den Voyages au Nord.
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[324/0040] ſie auch auf der andern Seite andre Gefuͤhle un- terdruͤcken, und ſich zur Alleinherrſcherin des Be- gehrungsvermoͤgens machen. Die unnatuͤrlichſten, graͤßlichſten Mittel wer- den zuweilen gebraucht, um ſich das Leben zu fri- ſten. Die Qual des Hungers und des Durſtes haben ſchon oft den Menſchen verfuͤhrt, die Dinge zu genießen, vor denen er ſonſt ſchauderte, und ſelbſt Menſchen zu ſchlachten, die aus ſeinem Blute entſprungen waren. So manche Belagerungs- geſchichte liefert hievon ſchreckliche Beyſpiele, und unter rohen Nationen kommen die Faͤlle noch haͤu- figer vor, weil bey dieſen die groben ſinnlichen Empfindungen die groͤßte Staͤrke haben, und die feinen Gefuͤhle des Herzens ſehr ſchwach ſind. Bey den Wilden, die um die Hudſonsbay woh- nen, ſoll, wie die Reiſebeſchreiber erzaͤhlen, zu- weilen der Fall eintreten, daß Eltern ihre Kin- der, Maͤnner ihre Weiber, und Bruͤder ihre Ge- ſchwiſter ſchlachten, um das Mark aus ihren Knochen zu ſaugen. Jch habe, erzaͤhlt Jere- mie *), einen von dieſen Wilden geſehen, welcher mir ſagte, er habe ſeine Frau und ſechs Kinder verzehrt, und ſey nicht eher erweicht worden, als bey dem letzten, welchen er aufgezehrt hatte, weil er ihn am zaͤrtlichſten liebte. Als er dieſem den Kopf geoͤfnet habe, um ſein Gehirn zu verzehren, ſey *) Jn den Voyages au Nord.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/40>, abgerufen am 21.11.2024.