sey er von dem väterlichen Gefühle gerührt wor- den, und habe nicht Stärke genug gehabt, ihm die Knochen zu zerbrechen, um das Mark aus denselben zu saugen.
So thierische Handlungen wirkt indeß mehr die unerträgliche thierische Empfindung des Hun- gers, als die Liebe zum Leben, oder, um deut- licher zu seyn, die Liebe zum Leben allein, ohne diese Qual der auf die Erhaltung des Körpers zielenden Triebe, würde nicht zur Menschenfres- serey verleiten.
Doch giebt es auch Menschen, in welchen die Liebe zum Leben für sich sehr kleinlich, sehr niedrig, sehr schändlich ist. Die, welche niemals an ihre höhere Bestimmung gedachten, vor einer Zu- kunft, wo über ihr Leben gerichtet wird, zu zit- tern haben; keine Güter kennen, als die auf der Erde genossen werden müssen, und nichts in die Ewigkeit mitgeben; die beben vor dem Ausgang aus dem Leben, und könnten selbst Laster begehen, um sich vor der Sense des Todes zu schützen. Wie Mancher, der über Gott und Ewigkeit spottete, weil seinem Gewissen diese Gedanken schrecklich waren, hat auf dem Krankenbette ge- zagt und gezittert!
Wie Mancher, der weiter kein Gut auf Erden schätzt, als seinen Mammon, möchte sich in die Tiefe der Erde verbergen, wenn der Name
Tod
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ſey er von dem vaͤterlichen Gefuͤhle geruͤhrt wor- den, und habe nicht Staͤrke genug gehabt, ihm die Knochen zu zerbrechen, um das Mark aus denſelben zu ſaugen.
So thieriſche Handlungen wirkt indeß mehr die unertraͤgliche thieriſche Empfindung des Hun- gers, als die Liebe zum Leben, oder, um deut- licher zu ſeyn, die Liebe zum Leben allein, ohne dieſe Qual der auf die Erhaltung des Koͤrpers zielenden Triebe, wuͤrde nicht zur Menſchenfreſ- ſerey verleiten.
Doch giebt es auch Menſchen, in welchen die Liebe zum Leben fuͤr ſich ſehr kleinlich, ſehr niedrig, ſehr ſchaͤndlich iſt. Die, welche niemals an ihre hoͤhere Beſtimmung gedachten, vor einer Zu- kunft, wo uͤber ihr Leben gerichtet wird, zu zit- tern haben; keine Guͤter kennen, als die auf der Erde genoſſen werden muͤſſen, und nichts in die Ewigkeit mitgeben; die beben vor dem Ausgang aus dem Leben, und koͤnnten ſelbſt Laſter begehen, um ſich vor der Senſe des Todes zu ſchuͤtzen. Wie Mancher, der uͤber Gott und Ewigkeit ſpottete, weil ſeinem Gewiſſen dieſe Gedanken ſchrecklich waren, hat auf dem Krankenbette ge- zagt und gezittert!
Wie Mancher, der weiter kein Gut auf Erden ſchaͤtzt, als ſeinen Mammon, moͤchte ſich in die Tiefe der Erde verbergen, wenn der Name
Tod
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ſey er von dem vaͤterlichen Gefuͤhle geruͤhrt wor-
den, und habe nicht Staͤrke genug gehabt, ihm
die Knochen zu zerbrechen, um das Mark aus
denſelben zu ſaugen.
So thieriſche Handlungen wirkt indeß mehr
die unertraͤgliche thieriſche Empfindung des Hun-
gers, als die Liebe zum Leben, oder, um deut-
licher zu ſeyn, die Liebe zum Leben allein, ohne
dieſe Qual der auf die Erhaltung des Koͤrpers
zielenden Triebe, wuͤrde nicht zur Menſchenfreſ-
ſerey verleiten.
Doch giebt es auch Menſchen, in welchen
die Liebe zum Leben fuͤr ſich ſehr kleinlich, ſehr
niedrig, ſehr ſchaͤndlich iſt. Die, welche niemals
an ihre hoͤhere Beſtimmung gedachten, vor einer Zu-
kunft, wo uͤber ihr Leben gerichtet wird, zu zit-
tern haben; keine Guͤter kennen, als die auf der
Erde genoſſen werden muͤſſen, und nichts in die
Ewigkeit mitgeben; die beben vor dem Ausgang
aus dem Leben, und koͤnnten ſelbſt Laſter begehen,
um ſich vor der Senſe des Todes zu ſchuͤtzen.
Wie Mancher, der uͤber Gott und Ewigkeit
ſpottete, weil ſeinem Gewiſſen dieſe Gedanken
ſchrecklich waren, hat auf dem Krankenbette ge-
zagt und gezittert!
Wie Mancher, der weiter kein Gut auf
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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