Siebente Unterhaltung. Ueber den Trieb, in die Zukunft zu sehen.
Der Mensch ist nicht damit zufrieden, daß es ihm in dem gegenwärtigen Augenblicke wohl ist. Und wenn er alles, was der Mensch zur Glück- seligkeit fordert, besäße, so würde ihn der gegen- wärtige Besitz allein doch nicht glückselig machen, weil er nicht blos an die Gegenwart, sondern auch an die Zukunft gedenkt.
Gedanken an die Zukunft melden sich bey je- dem, den die Cultur wenigstens eine Stufe über die Thierheit hinaus geführt hat. Der Unaufge- klärte will sein Schicksal in der Zukunft wissen, weil es ihm überhaupt nur um Resultate, nicht um die Gründe und Quellen derselben zu thun ist; weil er für den großen Vorzug des Menschen, seines Glückes Meister zu seyn, kein Gefühl hat, und es ihm lächerlich, wenigstens unmöglich dünkt, daß das Vorherwissen des Zukünftigen ein großes Uebel für ihn seyn würde. Der Auf- geklärte will zwar das Zukünftige nicht wissen, aber doch in der Gegenwart gern einen festen Grund zu einer fortdauernden Glückseligkeit legen. Darum denkt auch dieser über den itzigen Augen-
blick
Siebente Unterhaltung. Ueber den Trieb, in die Zukunft zu ſehen.
Der Menſch iſt nicht damit zufrieden, daß es ihm in dem gegenwaͤrtigen Augenblicke wohl iſt. Und wenn er alles, was der Menſch zur Gluͤck- ſeligkeit fordert, beſaͤße, ſo wuͤrde ihn der gegen- waͤrtige Beſitz allein doch nicht gluͤckſelig machen, weil er nicht blos an die Gegenwart, ſondern auch an die Zukunft gedenkt.
Gedanken an die Zukunft melden ſich bey je- dem, den die Cultur wenigſtens eine Stufe uͤber die Thierheit hinaus gefuͤhrt hat. Der Unaufge- klaͤrte will ſein Schickſal in der Zukunft wiſſen, weil es ihm uͤberhaupt nur um Reſultate, nicht um die Gruͤnde und Quellen derſelben zu thun iſt; weil er fuͤr den großen Vorzug des Menſchen, ſeines Gluͤckes Meiſter zu ſeyn, kein Gefuͤhl hat, und es ihm laͤcherlich, wenigſtens unmoͤglich duͤnkt, daß das Vorherwiſſen des Zukuͤnftigen ein großes Uebel fuͤr ihn ſeyn wuͤrde. Der Auf- geklaͤrte will zwar das Zukuͤnftige nicht wiſſen, aber doch in der Gegenwart gern einen feſten Grund zu einer fortdauernden Gluͤckſeligkeit legen. Darum denkt auch dieſer uͤber den itzigen Augen-
blick
<TEI><text><body><pbfacs="#f0080"n="364"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Siebente Unterhaltung</hi>.<lb/>
Ueber den<lb/><hirendition="#b">Trieb, in die Zukunft zu ſehen</hi>.</head><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>er Menſch iſt nicht damit zufrieden, daß es<lb/>
ihm in dem gegenwaͤrtigen Augenblicke wohl iſt.<lb/>
Und wenn er alles, was der Menſch zur Gluͤck-<lb/>ſeligkeit fordert, beſaͤße, ſo wuͤrde ihn der gegen-<lb/>
waͤrtige Beſitz allein doch nicht gluͤckſelig machen,<lb/>
weil er nicht blos an die Gegenwart, ſondern auch<lb/>
an die <hirendition="#b">Zukunft</hi> gedenkt.</p><lb/><p>Gedanken an die Zukunft melden ſich bey je-<lb/>
dem, den die Cultur wenigſtens eine Stufe uͤber<lb/>
die Thierheit hinaus gefuͤhrt hat. Der Unaufge-<lb/>
klaͤrte will ſein Schickſal in der Zukunft <hirendition="#b">wiſſen</hi>,<lb/>
weil es ihm uͤberhaupt nur um <hirendition="#b">Reſultate</hi>, nicht<lb/>
um die <hirendition="#b">Gruͤnde</hi> und <hirendition="#b">Quellen</hi> derſelben zu thun<lb/>
iſt; weil er fuͤr den großen Vorzug des Menſchen,<lb/>ſeines Gluͤckes Meiſter zu ſeyn, kein Gefuͤhl hat,<lb/>
und es ihm laͤcherlich, wenigſtens unmoͤglich<lb/>
duͤnkt, daß das Vorher<hirendition="#b">wiſſen</hi> des Zukuͤnftigen<lb/>
ein großes Uebel fuͤr ihn ſeyn wuͤrde. Der Auf-<lb/>
geklaͤrte will zwar das Zukuͤnftige nicht <hirendition="#b">wiſſen</hi>,<lb/>
aber doch in der Gegenwart gern einen feſten<lb/>
Grund zu einer fortdauernden Gluͤckſeligkeit legen.<lb/>
Darum denkt auch dieſer uͤber den itzigen Augen-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">blick</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[364/0080]
Siebente Unterhaltung.
Ueber den
Trieb, in die Zukunft zu ſehen.
Der Menſch iſt nicht damit zufrieden, daß es
ihm in dem gegenwaͤrtigen Augenblicke wohl iſt.
Und wenn er alles, was der Menſch zur Gluͤck-
ſeligkeit fordert, beſaͤße, ſo wuͤrde ihn der gegen-
waͤrtige Beſitz allein doch nicht gluͤckſelig machen,
weil er nicht blos an die Gegenwart, ſondern auch
an die Zukunft gedenkt.
Gedanken an die Zukunft melden ſich bey je-
dem, den die Cultur wenigſtens eine Stufe uͤber
die Thierheit hinaus gefuͤhrt hat. Der Unaufge-
klaͤrte will ſein Schickſal in der Zukunft wiſſen,
weil es ihm uͤberhaupt nur um Reſultate, nicht
um die Gruͤnde und Quellen derſelben zu thun
iſt; weil er fuͤr den großen Vorzug des Menſchen,
ſeines Gluͤckes Meiſter zu ſeyn, kein Gefuͤhl hat,
und es ihm laͤcherlich, wenigſtens unmoͤglich
duͤnkt, daß das Vorherwiſſen des Zukuͤnftigen
ein großes Uebel fuͤr ihn ſeyn wuͤrde. Der Auf-
geklaͤrte will zwar das Zukuͤnftige nicht wiſſen,
aber doch in der Gegenwart gern einen feſten
Grund zu einer fortdauernden Gluͤckſeligkeit legen.
Darum denkt auch dieſer uͤber den itzigen Augen-
blick
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/80>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.