Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

zum Beyspiel, dem, was uns am meisten aufge-
fallen ist, zuschreiben.

Man muß daher erst untersuchen, ob der
Reiz des Gefühls auch wohl recht rathe, ehe
man demselben folgt, damit man nicht, in der
Meynung eine Vollkommenheit nachzuahmen, et-
was Fehlerhaftes, wenigstens Sonderbares kopire.

Am meisten haben in dieser Hinsicht diejeni-
gen aufmerksam auf sich zu seyn, welche einen
Ansatz von der für die Natur tödtlichen Genie-
seuche
haben. Kranke dieser Art pflegen durch
ihre Sucht, Eigenheiten, oder vielmehr Singu-
laritäten solcher Leute nachzuäffen, welche für
Genie's oder große Geister gelten, am meisten zu
verrathen, daß sie gerade das Gegentheil vom
Genie sind.

Genie läßt sich gar nicht kopiren, wenigstens
hört die Kopie auf Genie zu seyn -- wer es da-
her doch thun will, kann nur gewisse bey demsel-
ben sich findende äußere Zufälligkeiten und Son-
derbarkeiten nachpinseln -- die mit dem wahren
Genie verbunden nicht widrig auffallend sind,
weil sie, wenn sie es auch an sich wären, von den
übrigen Vorzügen geschminkt werden; ohne das
Genie aber eine lächerliche Karrikatur machen.



Siebente

zum Beyſpiel, dem, was uns am meiſten aufge-
fallen iſt, zuſchreiben.

Man muß daher erſt unterſuchen, ob der
Reiz des Gefuͤhls auch wohl recht rathe, ehe
man demſelben folgt, damit man nicht, in der
Meynung eine Vollkommenheit nachzuahmen, et-
was Fehlerhaftes, wenigſtens Sonderbares kopire.

Am meiſten haben in dieſer Hinſicht diejeni-
gen aufmerkſam auf ſich zu ſeyn, welche einen
Anſatz von der fuͤr die Natur toͤdtlichen Genie-
ſeuche
haben. Kranke dieſer Art pflegen durch
ihre Sucht, Eigenheiten, oder vielmehr Singu-
laritaͤten ſolcher Leute nachzuaͤffen, welche fuͤr
Genie's oder große Geiſter gelten, am meiſten zu
verrathen, daß ſie gerade das Gegentheil vom
Genie ſind.

Genie laͤßt ſich gar nicht kopiren, wenigſtens
hoͤrt die Kopie auf Genie zu ſeyn — wer es da-
her doch thun will, kann nur gewiſſe bey demſel-
ben ſich findende aͤußere Zufaͤlligkeiten und Son-
derbarkeiten nachpinſeln — die mit dem wahren
Genie verbunden nicht widrig auffallend ſind,
weil ſie, wenn ſie es auch an ſich waͤren, von den
uͤbrigen Vorzuͤgen geſchminkt werden; ohne das
Genie aber eine laͤcherliche Karrikatur machen.



Siebente
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0079" n="363"/>
zum Bey&#x017F;piel, dem, was uns am mei&#x017F;ten aufge-<lb/>
fallen i&#x017F;t, zu&#x017F;chreiben.</p><lb/>
        <p>Man muß daher er&#x017F;t unter&#x017F;uchen, ob der<lb/>
Reiz des Gefu&#x0364;hls auch wohl recht rathe, ehe<lb/>
man dem&#x017F;elben folgt, damit man nicht, in der<lb/>
Meynung eine Vollkommenheit nachzuahmen, et-<lb/>
was Fehlerhaftes, wenig&#x017F;tens Sonderbares kopire.</p><lb/>
        <p>Am mei&#x017F;ten haben in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht diejeni-<lb/>
gen aufmerk&#x017F;am auf &#x017F;ich zu &#x017F;eyn, welche einen<lb/>
An&#x017F;atz von der fu&#x0364;r die Natur to&#x0364;dtlichen <hi rendition="#b">Genie-<lb/>
&#x017F;euche</hi> haben. Kranke die&#x017F;er Art pflegen durch<lb/>
ihre Sucht, Eigenheiten, oder vielmehr Singu-<lb/>
larita&#x0364;ten &#x017F;olcher Leute nachzua&#x0364;ffen, welche fu&#x0364;r<lb/>
Genie's oder große Gei&#x017F;ter gelten, am mei&#x017F;ten zu<lb/>
verrathen, daß &#x017F;ie gerade das Gegentheil vom<lb/>
Genie &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Genie la&#x0364;ßt &#x017F;ich gar nicht kopiren, wenig&#x017F;tens<lb/>
ho&#x0364;rt die Kopie auf Genie zu &#x017F;eyn &#x2014; wer es da-<lb/>
her doch thun will, kann nur gewi&#x017F;&#x017F;e bey dem&#x017F;el-<lb/>
ben &#x017F;ich findende a&#x0364;ußere Zufa&#x0364;lligkeiten und Son-<lb/>
derbarkeiten nachpin&#x017F;eln &#x2014; die mit dem wahren<lb/>
Genie verbunden nicht widrig auffallend &#x017F;ind,<lb/>
weil &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie es auch an &#x017F;ich wa&#x0364;ren, von den<lb/>
u&#x0364;brigen Vorzu&#x0364;gen ge&#x017F;chminkt werden; ohne das<lb/>
Genie aber eine la&#x0364;cherliche Karrikatur machen.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Siebente</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0079] zum Beyſpiel, dem, was uns am meiſten aufge- fallen iſt, zuſchreiben. Man muß daher erſt unterſuchen, ob der Reiz des Gefuͤhls auch wohl recht rathe, ehe man demſelben folgt, damit man nicht, in der Meynung eine Vollkommenheit nachzuahmen, et- was Fehlerhaftes, wenigſtens Sonderbares kopire. Am meiſten haben in dieſer Hinſicht diejeni- gen aufmerkſam auf ſich zu ſeyn, welche einen Anſatz von der fuͤr die Natur toͤdtlichen Genie- ſeuche haben. Kranke dieſer Art pflegen durch ihre Sucht, Eigenheiten, oder vielmehr Singu- laritaͤten ſolcher Leute nachzuaͤffen, welche fuͤr Genie's oder große Geiſter gelten, am meiſten zu verrathen, daß ſie gerade das Gegentheil vom Genie ſind. Genie laͤßt ſich gar nicht kopiren, wenigſtens hoͤrt die Kopie auf Genie zu ſeyn — wer es da- her doch thun will, kann nur gewiſſe bey demſel- ben ſich findende aͤußere Zufaͤlligkeiten und Son- derbarkeiten nachpinſeln — die mit dem wahren Genie verbunden nicht widrig auffallend ſind, weil ſie, wenn ſie es auch an ſich waͤren, von den uͤbrigen Vorzuͤgen geſchminkt werden; ohne das Genie aber eine laͤcherliche Karrikatur machen. Siebente

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/79
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/79>, abgerufen am 24.11.2024.