Kind von dem, was ihm gegeben wird, so viel, als seine Begierde zu ihrer Sättigung verlangt, und verschmeißt die Ueberbleibsel, weil es ihm nun nicht mehr schmeckt, und es nicht daran denkt, daß es ihm morgen wieder schmecken wer- de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit, und ist für Bewegungsgründe der Vernunft noch nicht empfänglich.
Eben so ist der Wilde. Weder Hofnung eines künftigen Guts, noch Furcht vor einem künftigen Uebel können ihn zur Thätigkeit und Sor- ge für die Zukunft bestimmen. Er säet und erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, streift er umher, und sucht ihn mit den Früchten, die die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild, das der Wald hegt, oder mit den Fischen der Ströme und Flüsse zu stillen. Wenn er Ueber- fluß hat, denkt er nicht daran, sich von demselben etwas für die folgenden Tage zu sparen; sondern verzehrt und verschwendet alles, was da ist.
Von den Hottentotten erzählt dieses Herr Vaillant in seiner Reise in das Jnnere von Afri- ka*). So lange, sagt er, die Hottentotten Ueberfluß an Lebensmitteln haben, sind sie außer- ordentlich gefräßig; dahingegen begnügen sie sich bey Hungersnoth mit sehr Wenigem; sie gleichen darin gewissermaßen den Hyänen und andern
fleisch-
*) Theil 1. S. 265.
Kind von dem, was ihm gegeben wird, ſo viel, als ſeine Begierde zu ihrer Saͤttigung verlangt, und verſchmeißt die Ueberbleibſel, weil es ihm nun nicht mehr ſchmeckt, und es nicht daran denkt, daß es ihm morgen wieder ſchmecken wer- de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit, und iſt fuͤr Bewegungsgruͤnde der Vernunft noch nicht empfaͤnglich.
Eben ſo iſt der Wilde. Weder Hofnung eines kuͤnftigen Guts, noch Furcht vor einem kuͤnftigen Uebel koͤnnen ihn zur Thaͤtigkeit und Sor- ge fuͤr die Zukunft beſtimmen. Er ſaͤet und erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, ſtreift er umher, und ſucht ihn mit den Fruͤchten, die die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild, das der Wald hegt, oder mit den Fiſchen der Stroͤme und Fluͤſſe zu ſtillen. Wenn er Ueber- fluß hat, denkt er nicht daran, ſich von demſelben etwas fuͤr die folgenden Tage zu ſparen; ſondern verzehrt und verſchwendet alles, was da iſt.
Von den Hottentotten erzaͤhlt dieſes Herr Vaillant in ſeiner Reiſe in das Jnnere von Afri- ka*). So lange, ſagt er, die Hottentotten Ueberfluß an Lebensmitteln haben, ſind ſie außer- ordentlich gefraͤßig; dahingegen begnuͤgen ſie ſich bey Hungersnoth mit ſehr Wenigem; ſie gleichen darin gewiſſermaßen den Hyaͤnen und andern
fleiſch-
*) Theil 1. S. 265.
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Kind von dem, was ihm gegeben wird, ſo viel,
als ſeine Begierde zu ihrer Saͤttigung verlangt,
und verſchmeißt die Ueberbleibſel, weil es ihm nun
nicht mehr ſchmeckt, und es nicht daran denkt,
daß es ihm morgen wieder ſchmecken wer-
de. Es folgt nur dem Triebe der Sinnlichkeit,
und iſt fuͤr Bewegungsgruͤnde der Vernunft noch
nicht empfaͤnglich.
Eben ſo iſt der Wilde. Weder Hofnung
eines kuͤnftigen Guts, noch Furcht vor einem
kuͤnftigen Uebel koͤnnen ihn zur Thaͤtigkeit und Sor-
ge fuͤr die Zukunft beſtimmen. Er ſaͤet und
erndtet nicht; wenn der Hunger ihn treibt, ſtreift
er umher, und ſucht ihn mit den Fruͤchten, die
die Erde freywillig erzeugte, oder mit dem Wild,
das der Wald hegt, oder mit den Fiſchen der
Stroͤme und Fluͤſſe zu ſtillen. Wenn er Ueber-
fluß hat, denkt er nicht daran, ſich von demſelben
etwas fuͤr die folgenden Tage zu ſparen; ſondern
verzehrt und verſchwendet alles, was da iſt.
Von den Hottentotten erzaͤhlt dieſes Herr
Vaillant in ſeiner Reiſe in das Jnnere von Afri-
ka *). So lange, ſagt er, die Hottentotten
Ueberfluß an Lebensmitteln haben, ſind ſie außer-
ordentlich gefraͤßig; dahingegen begnuͤgen ſie ſich
bey Hungersnoth mit ſehr Wenigem; ſie gleichen
darin gewiſſermaßen den Hyaͤnen und andern
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*) Theil 1. S. 265.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/82>, abgerufen am 21.11.2024.
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